Auf unser Wohl!

Uwe Jean Heuser betrachtet den „Widerspruch zwischen Markt und Mensch“ und lobt Gemeinwohlinitiativen

Jede Zeit bringt ihre Sozialthesen hervor. Der Wettbewerb, so die populäre Argumentation, ist durch die weltweite Vernetzung härter geworden. Und der Mensch, obwohl an allem schuld, muss jetzt sehen, woran er sich noch festhalten kann im beschleunigten Kapitalismus. Markt und Mensch, das sei ein Widerspruch, der nach Lösungen verlange – so lautet die Aufgabe, der sich der Wirtschaftsjournalist Uwe Jean Heuser in seinem Essay: „Das Unbehagen im Kapitalismus“ widmet.

„Der Markt wird allgegenwärtig und schnell. Dafür ist der Mensch nicht geschaffen“, meint Heuser. Der Mensch suche daher „neue Wege, um sein Bedürfnis nach Gemeinschaft und Dauerhaftigkeit zu befriedigen“. Die neuen Wege macht Heuser in neuen Wertegemeinschaften aus, vor allem im dritten Sektor. Selbsthilfeprojekte von Senioren, Mitarbeiterinitiativen in Firmen und globale Umweltschutz-Organisationen gelten ihm als Beweise dafür, dass das Menschliche auch den künftigen globalen Kapitalismus immer mitprägen wird.

Dieser Schluss ist nicht neu, interessant aber ist Heusers Reise dahin. Der Mensch ist für Heuser ein höchst irrationales Wesen, dessen vielfältige Wertschätzungen und Entscheidungen zu relativieren sind, abhängig von der jeweiligen Lebenslage.

Die Deutschen beispielsweise landen in internationalen Studien zum Wohlbefinden auf einem hinteren Platz, trotz ihres hohen Lebensstandards. Kein Wunder: „Wir gewöhnen uns schnell an das, was wir haben“, resümiert Heuser mit Verweis auf die Erkenntnisse der Psychologie. Steigt unser Wohlstand, wird das schnell als selbstverständlich hingenommen. Doch bei drohendem Verlust schrillen alle Alarmglocken. „So leicht wir uns manchmal anpassen, so schwer können sich viele von uns an das Risiko selbst gewöhnen“.

Der Wunsch nach Verbesserung, nach Aufstieg treibe den Menschen an, so Heuser. Damit entspreche der Ruf nach mehr Gleichheit gar nicht unbedingt den Wünschen der meisten. Nur wolle halt niemand der Verlierer sein. Das muss mal wieder gesagt werden – doch mit diesen Relativierungen macht Heuser auch klar, dass er die klassischen Grundsatzfragen nach politisch gesteuerter Umverteilung nicht mehr stellen will.

„Wachstum ist wichtiger als Verteilungsgerechtigkeit“, konstatiert er. Denn nur das Wachstum schaffe Arbeitsplätze – und neue Jobs nützten am Ende allen.

Heuser, hauptberuflich ZEIT-Redakteur, folgt damit anderen Sozialdenkern wie etwa Peter Glotz, die in ihren Schriften längst den alten Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit samt dem Gefälle zwischen Ober-, Mittel- und Unterschichten geplättet haben und sich mehr für die Beschleunigung der Ökonomie und ihre Folgen interessieren.

Alte Feindbilder wie die Unternehmerelite werden dabei sanft zu Grabe getragen, neuen Feindbildern wie etwa der Struktur der Finanzmärkte aber widmet sich auch Heusers Essay nur am Rande.

Doch es wirkt etwas zu behaglich angesichts des Unbehagens im Kapitalismus, wenn gar nicht mehr über die Gestaltungskraft der nationalen Politik geredet wird. Lokale Gemeinwohlprojekte und globale Anti-Korruptionsinitiativen werden als vermeintlich einzige Gegenkräfte allzu sehr symbolisch aufgeladen – für die Lebenswelt der meisten spielen sie jedoch nur eine geringe Rolle. Und für die Sehnsucht nach marktgeschützten Räumen gibt es nach wie vor andere Instanzen: Familie, Freundschaften, Nachbarschaften, ethnische Communities und Religionsgemeinschaften.Wie sich diese Rückzugsräume im globalen Kapitalismus weiter entwickeln, das ist die spannende Frage. BARBARA DRIBBUSCH

Uwe Jean Heuser: „Das Unbehagen im Kapitalismus. Die neue Wirtschaft und ihre Folgen“. Berlin Verlag. Berlin 2000, 240 Seiten, 36 DM