Das anständige, fleißige Volk

Zwei hervorragende Bücher erklären den Aufstieg von Haiders FPÖ. Sie markieren einleuchtend den Unterschied zwischen rechtem Populismus und Rechtsextremismus in Österreich

von ROBERT MISIK

Österreich, so lautet eine allgemein anerkannte These, sei vor allem ein stark auf Konsens und Konfliktvermeidung ausgerichtetes Gemeinwesen. Dementsprechend gering war das Interesse, das europäische und internationale Beobachter der Politik in der Alpenrepublik lange Jahre entgegenbrachten. Und umso größer die Erregung nun, nachdem sich gerade dort Ungeheuerliches zugetragen hat.

In den letzten Jahren gelang es Jörg Haider, seine Freiheitliche Partei FPÖ zur zweitstärksten politischen Kraft des Landes zu machen. Volkspartei-Chef Wolfgang Schüssel beförderte die FPÖ daraufhin zur führenden Regierungspartei. Spätestens seither füllt Haider nicht nur die Titelseiten internationaler Medien, sondern auch das Verlagsprogramm diversester Buchhäuser.

„Politik ist Konflikt“, lautet einer der Schlüsselsätze in Sebastian Reinfeldts Studie „Nicht-wir und Die-da“, die dieser Tage im Wiener Braumüller-Verlag erschienen ist. Ein anderer Kerngedanke lautet: „Das Konzept des Rechtsextremismus ist also kein geeigneter Ansatzpunkt für eine Untersuchung der FPÖ.“ Entsprechend trägt das Buch den Untertitel „Studien zum rechten Populismus“. Reinfeldt hat einige Jahre in die Untersuchung, die auf seiner Doktorarbeit beruht, investiert. Nun erscheint sie eher ungeplant, aber in Folge der politischen Ereignisse trotzdem „zeitgerecht“ im Sinne des Verlagsmarketings.

Populistische Politik ist für den Autor ideologische Politik in Reinkultur. Sie reißt gleichsam ein ideologisches Viereck auf. „Die-da“ (die Politiker, das Establishment) und „Nicht-wir“ (die Fremden, die Ausländer) werden einem Bereich des „Nicht-die-da“ (der anderen Österreicher), vor allem aber des „Wir“ gegenübergestellt. Laut Reinfeld trugen die Freiheitlichen mit dieser Konstruktion vor allem dem Konflikt-Charakter von Politik Rechnung, während sich die Konkurrenz in pragmatischem Technokratismus auszehrte.

Die Freiheitlichen durchfurchten das politische Terrain mit ihren Grenzziehungen, etablierten nicht nur „Identitätspolitik“ im engen, völkischen Sinn, sondern auch in einem erweiterten, insofern sie – im Moment der Auflösung der traditionellen „Lager“ – ein neues „Lager“ ideologisch produzierten: Das Lager der „fleißigen, anständigen Österreicher“, der „kleinen Leute“, das sie je nach Belieben gegen „die da oben“, aber auch gegen die unten, die „Sozialschmarotzer“ und die Immigranten in Stellung zu bringen vermochten.

Dabei gelang der FPÖ das Kunststück, einerseits egalitäre Instinkte zu mobilisieren – und doch andererseits gleichzeitig Fürsprecher neoliberaler Rezepte zu sein. Die Freiheitlichen blieben also ganz in der Tradition der Eliten Nachkriegsösterreichs, die allesamt Träger des sozialpartnerschaftlichen Konsenses der „verwalteten Gesellschaft“ sind und waren. Mühelos oszilliert die Rhetorik ihres Führers zwischen altväterlichem Österreich-Patriotismus und neumodischem Individualismus – wie übrigens auch sein Äußeres. Programmatisch ist die Parole aus dem Wahlkampf des Jahres 1994: „Sie sind gegen mich, weil ich für Euch bin.“

In der Rhetorik des freiheitlichen Populismus ist das Volk nie eindeutig definiert. Einmal ist es das Volk „da unten“ gegen die „oben“, dann wieder das „völkische Volk“ gegen die „draußen“. Insofern sind auch die Maßnahmen der EU-14 gegen die neue Regierung in Wien von einer Art, die den Politkonzepten der Freiheitlichen entgegenkommt: In dem Augenblick, in dem die FPÖ selbst zum Establishment, zu „denen da oben“ wird, stellt sich ihr ein supranationales Establishment entgegen, das „außen“ und „oben“ zugleich ist – das der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten.

„Die-da“ wird jetzt flugs mit „Brüssel“ identifiziert und das rhetorische Setting der populistischen Politik ist wieder im Lot. Kritisch wäre hinzuzufügen, dass sich mittlerweile zeigt, dass die christdemokratische Volkspartei diese Rhetorik beinahe schon besser beherrscht, als die FPÖ es jemals tat. Der Populismus hat sich somit als höchst infektiös erwiesen.

Sebastian Reinfeldt zeigt, wie der freiheitliche Populismus der völkischen Wir-Konstruktion mit der neoliberalen Spar-Ideologie seit 1995 derart zusammenwuchsen, dass die Koalition der rechten Radaubrüder von der FPÖ mit der konservativen Wirtschaftspartei ÖVP sich beinahe von selbst ergab. Zeigen muss sich freilich erst, ob sich die Versöhnung der beiden freiheitlichen „Wirs“ auch in der Regierungspraxis so leicht bewerkstelligen lässt, wie in der Opposition. Die jüngsten Wahlergebnisse und Meinungsumfragen stimmen hoffnungsvoll – die Freiheitlichen haben Probleme, sich weiter gleichzeitig als Partei des kleinen Mannes und der neoliberalen Reformen zu positionieren.

Reinfeldts Studie gehört zum Besten, was über Haiders Aufstieg publiziert wurde, gerade weil er uns recht wenig über den Polit-Popstar erzählt, dafür umso mehr über das Setting des Populismus im Allgemeinen.

Etwas mehr erfahren wir über Haider selbst in der kleinen Studie des Klagenfurter Sozialpsychologen Klaus Ottomeyer „Die Haider-Show – Zur Psychopolitik der FPÖ“. Doch auch Ottomeyer interessiert sein Tun und Treiben nur in Hinblick darauf, was er damit bei den Leuten auslöst.

„In Bezug auf die Gemengelage unbewusster Spannungen und Nöte im Publikum betreibt Haider mit seinen Leuten so etwas wie umgekehrte Psychoanalyse“, formuliert der Autor, der bereits 1992 mit einer Arbeit über „Jörg Haider und sein Publikum“ für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Wer genauer wissen will, wie die FPÖ das Kunststück zu Wege bringt, ihre Hass- und Hetzpolitik mit dem „unbeschwerten Hedonismus unserer Konsum- und Unterhaltungskultur“ erfolgreich in Einklang zu bringen, dem sei dieses schmale Bändchen ans Herz gelegt.

Ohnehin gibt es mittlerweile mehr und mehr empfehlenswerte Literatur über die österreichischen Freiheitlichen. Denn von Haider kann man lernen, wie man unter den Bedingungen der postmodernen Auflösung des Politischen politische Lager konstituiert. Das ist wohl auch unter anderen Bedingungen als den österreichischen eine heiße Frage. Insofern könnte die Alpenrepublik – auch – Laboratorium künftiger Entwicklungen sein. Mit Sebastian Reinfeldts Populismus-Studie und Ottomeyers Buch über die Haider-Show liegt, gemeinsam mit Christa Zöchlings bereits zur Jahreswende erschienener, brillanter Biografie „Haider – Licht und Schatten einer Karriere“ nun endlich genügend Material vor, das mit Nutzen zu sichten ist.

Sebastian Reinfeldt: „Nicht-wir und Die-da. Studien zum rechten Populismus“. Braumüller, Wien 2000, 228 Seiten, 52 DMKlaus Ottomeyer: „Die Haider-Show. Zur Psychopolitik der FPÖ“. Draver, Klagenfurt 2000, 227 Seiten