berliner ökonomie
: Heimat Erfolg: Die Green-Card-Diskussion bleibt hinter dem Lebensgefühl von Berliner Indern weit zurück

48 Stunden beten

Insider rollen nur noch genervt mit den Augen, wenn sie auf die „Computer-Inder“ angesprochen werden, und bei der ZAV in Frankfurt sind für die Schröder-Chefsache „Green Card“ inzwischen Sonderabteilungen mit stressresistenten Sachbearbeitern eingerichtet worden. Der 23-jährige Tipu Chakraborty kann über den ganzen Zirkus nur milde lächeln: Der Berliner Inder hatte einfach die bessere Geschäftsidee!

Der Student im Fachbereich Maschinenbau und ein türkischer Freund mit deutschem Pass sind seit längerem erfolgreich damit beschäftigt, eine GmbH aufzubauen, die den Kontakt zwischen deutschen Firmen und indischen IT-Spezialisten herstellt: „Das Problem bei diesen Deals ist, dass die Arbeitsangebote höchst unzuverlässig erscheinen. Die deutsche Sprache und die Bezahlung machen die Sache nicht attraktiver.“ Webpages, Software, Data-Recovery-Systems – was auch immer von den deutschen Firmen verlangt wird, kann problemlos in Indien erledigt werden. Dort nämlich sitzt Tipu Chakrabortys Onkel, der selbst 20 Jahre in Berlin gelebt hat. Er baut das entsprechende Netz von selbstständigen Informatikern auf, von denen es in Indien immer mehr gibt: „Mit unseren Kontakten und Sprachkenntnissen kommen wir zu den gleichen Zielen – und die Inder können zu Hause bleiben.“

Ähnlich geschickt baute die 34-jährige Naila eine Existenz auf ihrer indischen Herkunft auf. Ihre Oma hatte sie früh in die Kunst der indischen Massage eingeweiht, die sie selbst dann zeitgenössisch weiterentwickelte. Für 70 Mark die Stunde kann man sich von ihr die Chakras bei Planetentönen in einem kunstvoll gestalteten Raum aktivieren lassen. Zum ganzheitlichen Konzept gehört auch der Vertrieb von indischer Naturkosmetik – Henna, Öle, Shampoos –, die Naila selbst herstellt und demnächst auch noch auf Wochenmärkten vertreiben will.

Naila kam 20-jährig der Liebe wegen nach Berlin, als Inhaberin eines britischen Passes gab es mit dem Aufenthalt nie Probleme. Auch Pankaj Mehta reiste mit britischem Pass nach Berlin – die U. S. Army suchte vor 24 Jahren händeringend nach Zahnärzten für Berlin! Für den in Kenia geborenen Sohn einer Familie aus Gujarat war die Inselstadt nicht gerade ein Traumziel, aber diverse Zufälle und Freundschaften schubsten ihn via Britz zu einer Praxisgründung in Wilmersdorf. „Damals herrschten traumhafte Bedingungen, von den Maklern bis hin zu den Banken machte man es mir so leicht!“ Heute läuft die Praxis des offiziellen Zahnarztes der indischen Botschaft recht gut, Pankaj Mehta hat eine ebenfalls aus Kenia stammende Inderin geheiratet, und die beiden Töchter möchten unter keinen Umständen vor dem Abitur aus Berlin fort, weil sie sich am JFK-Gymnasium so wohl fühlen.

Unter den Berliner Indern gibt es auch einige „Stars“, die es „außerhalb“ der Szene geschafft haben. Zu ihnen zählt die 32-jährige Sangeeta Berkelmann. Sie arbeitet als Empfangschefin im Palace-Hotel. Die diplomierte, inzwischen sechssprachige Hotelfachfrau kam 1990 für ein Praktikum aus Neu-Delhi. Eigentlich wollte sie nur ein halbes Jahr bleiben, doch sie schuf sich als guest relation manager eine Stelle, die es seit langem in asiatischen und amerikanischen Spitzenhotels gibt, hierzulande aber unbekannt war.

Etwa 3.000 Berliner indischer Herkunft leben in der Hauptstadt, die Gemeinde ist nicht gerade eng verbunden. Der Botschaftsangehörige Shambu Kumaran meint, der Größe und Vielsprachigkeit des Landes wegen sei es ja auch verständlich, dass sich Berliner Inder, wenn überhaupt, eher als Bengalen, Punjabis oder Tamilen zu Klubs oder Vereinen zusammenschließen. Darum gibt es in Berlin auch nicht so etwas wie ein „Little India“.

Die Charlottenburger Grolmanstraße mit zahlreichen indischen Restaurants, indischen Reisebüros, Telecafés und Lebensmittelläden hat einfach zu viele Westberliner Altherren-Etablissements, um auch nur entfernt an eine indische Straße zu erinnern. Eher wildwüchsig, über die ganze Stadt verteilt, schießen in den letzten Jahren indische Spezialitätenrestaurants wie Pilze aus dem Boden.

Die vielleicht schönste Erfolgsgeschichte lässt sich über das „Amrit“ in der Kreuzberger Oranienstraße erzählen. Bittu Bans und sein Bruder kamen als diplomierte Hotelfachkräfte via New Jersey in die Stadt. Sie entwickelten mit einem engagierten Team ein Konzept, das vor allem jüngere Kundschaft ansprechen sollte: schlichte Eleganz, eine angemessene Dosis von Europäisierung der authentischen Gerichte – und das Ganze bezahlbar. Zur Eröffnung kamen die Eltern Bans, um dem Geschäft ihren Segen zu geben. 48 Stunden, bevor die Türen geöffnet wurden, wurde im Gastraum nonstop aus dem heiligen Buch der Sikh, dem Granth Sahib, gebetet. Und dann kamen die Gäste trotz Regen und mangelnder Werbung so zahlreich, dass dem Papa vor Stolz die Tränen kamen. „Amrit“ lief so gut, dass vor einem Jahr eine Dependance in der Oranienburger Straße eröffnet wurde. Wieder wurde gebetet, wieder führte es zum Erfolg.

Derzeit ist Mr. Bans schon zum fünften Mal in der Stadt. Glücklich beobachtet er jeden Abend mit blütenweißem Turban das geschäftige Treiben im Lokal seiner Söhne.

DOROTHEE WENNER