■ taz-Leser fordern andere Mobilitätsstruktur
: Das Auto ist nicht zukunftsfähig

betr.: „Grüne sind keine Anti-Auto-Partei mehr“ u. a., taz vom 26. 5. 00 ff

[...] Als amtierende und ehemals tätige Betriebsräte bei Daimler-Chrysler in Stuttgart schlagen wir uns seit den 70er-Jahren mit der Autofrage herum.

1. Für uns hat sich die Konzentration des Mobilitäts-Erlebnis- und Freiheitswunsches der Bürger auf das Auto längst als nicht zukunftsfähig erwiesen. An dieser Stelle erwarten wir eine Konzentration und Optimierung anderer Mobilitätsstrukturen (Busse, Bahnen und noch zu entwickelnde attraktive Verkehrsträger). Von den Automobilfirmen erwarten wir – auch im Interesse unserer Arbeitsplätze –, sich konsequenter zu Mobilitätsdienstleistern zu entwickeln und entsprechende, vielfältige Angebote vorzustellen und zu produzieren. 2. Selbstverständlich wird das Auto auch zukünftig eine bedeutende Rolle spielen. Wir meinen allerdings, dass sich ihre Zahl wesentlich reduzieren wird, wenn das Umsteuern im obigen Sinne konsequent verfolgt wird. Diese „Restautos“ müssen allerdings hohen umweltpolitischen Anforderungen entsprechen: Null-Emissionen, Brennstoffzelle, Recyclingfähigkeit, Langlebigkeit, naturfreundliche Werkstoffe usw. In diesem Sinne sind viele unserer Kollegen und Freunde schon viel phantasievoller und mutiger als Rezzo Schlauch, Albert Schmid und Michaele Hustedt.

GERD RATHGEB, WILLI HOSS

[...] „Für Frauen bedeutet das Auto Sicherheit auf nächtlichen Straßen . . .“ Ist die Wahrscheinlichkeit, von einem alkoholisierten Raser gerammt zu werden, tatsächlich so viel geringer als an der Bushaltestelle überfallen und schwer verletzt oder gar getötet zu werden? „Für alte Menschen und Behinderte ist das Auto ein Synonym für unabhängige Bewegungsfreiheit.“ Solange sie noch selbst fahren können und die Alternativen nicht behindertengerecht ausgebaut werden. Und für alle Kinder gilt im Wohnumfeld das genaue Gegenteil. Aber die dürfen ja nicht wählen. „Das Bedürfnis nach individueller Mobilität ist zu akzeptieren.“ Das Bedürfnis nach kollektiver, öffentlicher, kommunikativer Mobilität auch? Flächendeckend, auch abends und am Wochenende? Dann erst besteht Wahlfreiheit der Verkehrsmittel. [...] Steht nicht in Zeiten einer fast bankrotten Deutschen Bahn AG, die Strecken und Interregios stilllegen will und immer weniger Güterverkehr wirtschaftlich betreiben kann, und der Gefahr massiver Verschlechterungen des städtischen ÖPNV wegen des Wegfalls der Finanzierung aus Überschüssen des Stromkaufs (ein Ergebnis der so hoch gelobten grünen Energiepolitik!) bei boomendem Pkw- und Lkw-Verkehr etwas Anderes auf der grünen Tagesordnung als die schlichte Lobpreisung des lustvollen Autofahrens?

Wäre es nicht wichtiger, die Grünen als entschlossene Anwälte der Kinder, Alten, Mobilitätsbehinderten, Gesundheits- und Umweltbewussten, der Fußgänger, Radfahrer und Nutzer von Bussen und Bahnen aller Altersgruppen zu profilieren und deren Interessen auch mal gegen die großen Widerstände der Autofahrerlobby und des Kanzlers aller Autos zu vertreten? [...]

KLAUS BÖTTCHER, Fraktionsvorsitzender Stadtparlament Nidderau B’90 / Grüne

[...] Da gibt es zum Beispiel Teenager, insbesondere weibliche, die leben in einem 400-Seelen-Schwarzwalddorf, 25 Kilometer und 30 Prozent Gefälle (auf dem Heimweg: Steigung) vom nächsten größeren Ort, 50 Kilometer von der nächsten Disko weg, und nachts ist es stockfinster. Es wäre unsinnig, mitten in der Nacht öffentliche Verkehrsmittel von Schwarzwaldhof zu Schwarzwaldhof brausen zu lassen. Sogar ein Taxi – wenn unser Teenager sich denn eins leisten könnte – müsste die ganze Strecke leer wieder zurückfahren. Jetzt wird mir gleich jemand vorrechnen, dass das Taxi doch billiger kommt als ein Auto, aber es geht ja nicht nur um den wöchentlichen Diskobesuch, sondern um die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Gibt es hier eine Alternative zum Auto? Ich sehe keine, und wenn dieses Auto umweltverträglicher fahren kann als mit Benzin, dann sollten wir dieses Auto fördern und nicht aus ideologischen Gründen blockieren.

CHRISTIANE RATTINGER, Offenburg

[...] Selbst das Drei-Liter- oder Wasserstoffauto brächte neuen Straßenbau, gigantischen Landschaftsverbrauch und giftigen Reifenabrieb. Nichts führt an Umlenkung auf Busse und Bahnen vorbei, vor allem auch für den Gütertransport. Wahnsinnsprojekte wie „Stuttgart 21“ müssen aufgegeben werden zugunsten eines besseren Nahverkehrs. [...]

WOLFGANG M. WETTLAUFER, Tübingen

[...] Als jahrzehntelanger überzeugter Grünenwähler kann ich nicht sehen, dass Grüne mehrheitlich das Auto verteufelten, wie Schlauch es nennt. Das einzige was aufgezeigt werden sollte, sind die sozialen und ökologischen Folgen des massenhaften Autogebrauches. Was hat das mit Verteufelung zu tun? Eher mit Aufklärung. Oder täusche ich mich da? [...]

WOLFGANG WEDEL, Nürnberg