Abschied vom Mythos des „Schönen Landes“

WWF überträgt die Umweltstudie „Zukunftsfähiges Deutschland“ auf Italien – unter dem Applaus der Regierung. Doch die Ökobilanz ist trübe

ROM taz ■ „Es ist endlich Zeit zu handeln, statt immer nur zu reden.“ Staffan De Mistura, Repräsentant der UNO in Italien, nutzte die Vorstellung des WWF-Reports „Italia capace di futuro“ („Zukunftsfähiges Italien“) in Rom zu einem leidenschaftlichen Appell. Die richtigen Adressaten hatte er gestern, am Internationalen Umwelttag, neben sich auf dem Podium: Umweltminister Willer Bordon und den grünen Landwirtschaftsminister Alfonso Pecoraro Scanio.

Was der WWF Italien da auf über 400 Seiten bilanziert – übrigens angeregt durch die vom Wuppertal-Institut erstellte Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ –, lässt in der Tat wenig übrig von dem den Italienern so lieben Klischee des „Bel Paese“, des „Schönen Landes“. Weg vom Blick bloß auf umweltverpestenden Ausstoß, hin zu einer Perspektive, die sich vor allem auf den Ressourcenverbrauch richtet – dies ist die Maxime der Studie.

Nicht, dass die Probleme der Abgase gelöst wären: Schon ein Kurzurlaub in einer italienischen Großstadt reicht, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Doch während die Umweltverschmutzung mittlerweile zum Gegenstand der Politik geworden ist, lagen über den am Anfang der produktiven Kette liegenden Ressourcenverbrauch bisher nicht einmal umfassende Daten vor. Diese Lücke schließt nun die WWF-Studie. Da erfahren die Italiener, dass sie immerhin auf einem Feld japanisches Niveau erreicht haben: beim Materialverbrauch. Pro Kopf kommen jährlich stolze 40 Tonnen zusammen. Und obwohl die Bevölkerung leicht abnimmt, geht der Landschaftsverbrauch fröhlich weiter, werden Jahr für Jahr 50.000 Hektar neu bebaut. Auch beim Hausmüll – der weitgehend ungetrennt in die Tonne wandert – erreicht Italien mit fast 500 Kilo pro Kopf und Jahr beachtliche Werte, hinzu kommt noch einmal das Vierfache an Industrie- und Sondermüll.

Es geht auch anders, meint der WWF. Und fordert etwa, dass bald keine neuen Flächen mehr bebaut werden. Arbeitslosigkeit in der Bauindustrie, die etwa im Süden des Landes wichtigster privater Arbeitgeber ist, sei trotzdem nicht zu befürchten. Schließlich wurde Italien in den letzten Jahrzehnten mit Bausünden überzogen, egal ob in den Ballungsräumen oder auf dem platten Land – da gebe es mit Abriss und vernünftigem Um- oder Neubau genug zu tun.

Da nickten die beiden Minister beifällig; es gehe nicht an, dass „die meisten Italiener nur im eigenen Garten Umweltschützer sind“, sagte Umweltminister Bordon. Außer einem Gesetzentwurf, der alle Gebietskörperschaften zur Erstellung einer Umweltbilanz verpflichtet, hatte Bordon aber nichts zu bieten. Und Agrarminister Scanio lobte den WWF dafür, dass er mit dem Jahr 2050 einen realistisch späten Zeithorizont für die vollständige Umsetzung seines Programms gewählt hat. Schließlich könne Italien zwar hervorragend Notstandssituationen meistern, tue sich aber schwer, Politik vernünftig zu planen. Kleine Etappenziele seien da sinnvoller.

So eine Planung wäre tatsächlich eine radikale Kurswende. Eingehalten hat die seit 1996 amtierende Mitte-links-Regierung ihre „Etappenziele“ nur bei der Ankurbelung des Ressourcenverbrauchs, etwa mit der industriefreundlichen 2.000-Mark-Prämie für die Verschrottung von Altautos. Das ökologische Etappenziel der EU-weiten Abschaffung verbleiten Benzins zum 1. Januar dagegen verschlief die Regierung grandios – und musste dann im Namen der 15 Millionen Besitzer Kat-freier Dreckschleudern eine zweijährige Gnadenfrist aushandeln.

MICHAEL BRAUN