„Dann wird Töten zur Regel“

Hubert Hüppe (CDU) ist Vizevorsitzender der Ethik-Kommission im Bundestag

taz: 81 Prozent der Befragten befürworten laut dem Meinungsforschungsinstitut Forsa die aktive Sterbehilfe. Sie selbst wollen noch nicht einmal „Sterbebegleitung“ akzeptieren, wie die Bundesärztekammer sie vorsieht.

Hubert Hüppe: Alles, was die Basisversorgung entzieht, ist für mich aktive Euthanasie und damit nicht hinnehmbar. Da kann es nicht sein, dass ärztliche Richtlinien weitergehen. Nimmt man das Sterbehilfe-Urteil des Frankfurter Oberlandesgerichts von 1998, ist das aus meiner Sicht eine Perversion des Denkens: Der Betreuer entscheidet, ob der Patient sterben soll.

Was ist, wenn sich ein Patient nicht mehr mitteilen kann?

Komatöse Patienten können auch nach Jahren noch aufwachen. Da kann man keine Entscheidung treffen, die zum Tod führt. Wenn es zwei Möglichkeiten gäbe, nämlich sterben zu lassen oder von der Gesellschaft versorgt zu werden, wird irgendwann der gesellschaftliche Druck entstehen, anderen bitte nicht mehr zur Last zu fallen. Das Beispiel Holland zeigt, dass es dann sogar Tötung ohne Verlangen gibt.

Gibt es Fälle, in denen man auf Maßnahmen zur Lebensverlängerung verzichtet?

Ich kann mir vorstellen, dass bei einem Sterbenden die zweite oder dritte Amputation abgelehnt wird. Aber das kann nicht zu aktiver Sterbehilfe führen.

Sie sagen, der Staat muss Leben schützen. Haben Patienten kein Recht auf Selbstbestimmung?

Als Politiker muss ich sehen, dass eine solche Regelung geradezu zum Missbrauch reizt. Während früher die Ausnahme die Regel bestimmte, nimmt man nun Extremfälle, um über die Ausnahme die Regel auszuhebeln. Dann wird aber das Töten zur Regel und nicht mehr das Helfen.

Wie müsste eine gesetzliche Regelung aussehen?

Ich will kein neues Gesetz. Jeder hat bei uns das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – auch Kranke und Behinderte. Von diesem Prinzip sollten wir nicht abweichen. Es hat dafür gesorgt, dass wir nach dem Krieg nicht so schlechte Erfahrungen gemacht haben wie im Dritten Reich.

Interview: NICOLE MASCHLER