Chinas Bill Gates

aus Peking GEORG BLUME

Charles Zhang Chaoyang trägt ein Jeans-Hemd, auf dessen Brusttasche mit schwarzem Garn die Buchstaben „Sohu.com“ eingestickt sind. Unzertrennlich ist der Name von Chinas erfolgreichstem Internet-Unternehmer mit dem seiner Firma verknüpft. Aber Zhang wäre der letzte, der nur über sich und Sohu spräche: „Mit uns gewinnt China neue Macht“, verkündet der 35-jährige Unternehmerstar vom freigeräumten Mahagoni-Schreibtisch seines Pekinger Chefbüros. „Sohu hat eine grundlegene Revolution der chinesischen Informationsindustrie ausgelöst. Sie zieht Pioniere aus aller Welt an.“

Der Pionier

Der ungebändigte Ehrgeiz eines chinesischen Harvard-Absolventen spricht aus jedem Satz des jungen Internet-Fürsten. Zhang will den Erfolg seiner Firma mit dem seines Landes verknüpfen. So wie es Bill Gates und Microsoft früher einmal gelang, ihr Glück für das Glück der Vereinigten Staaten auszugeben. Dabei ist der Gründer und Vorsitzende des Internet-Portals Sohu.com nicht der einzige, der nach den Sternen im chinesischen Cyberspace greift.

Chancenreiche Konkurrenzfirmen tragen Namen wie China.com, Sina.com oder etang.com. Untereinander liefern sie sich einen harten Wettbewerb. Chinas Großstädte sind gepflastert mit Werbeplakaten neuer Internetfirmen. Doch derzeit hat Zhang die Nase vorn: Bis zu zehn Millionen Webseiten werden täglich bei Sohu.com eingesehen. Das bürgt für eine Kundenzahl, die heute keine andere chinesische Internetfirma erreicht. Die Surfer suchen bei Sohu.com nach Nachrichten, Stellenangeboten oder Freizeittipps. Ihnen werden Sonderseiten für Frauen, Kinder und Kranke geboten. Vieles davon hat die Pressezensur früher nicht zugelassen. Neu sind auch die ausufernden Chatrooms, in denen viele Bürger die Gelegenheit wahrnehmen, sich frei wie nie zuvor in der Öffentlichkeit zu äußern.

Der Visionär

„Das Internet befähigt die Chinesen zu eigenen Ideen“, sagt Zhang. Der Sohu-Chef benutzt bewusst eine alte Vokabel der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung: Im „Empowerment“ seiner Zeitgenossen sehe er das Geheimnis des eigenen Erfolges. Hier offenbart sich der Visionär: „Natürlich kann das Internet in China einen Wachstumsschub auslösen und die Effizienz der Wirtschaft stärken, aber das ist zweitrangig. Viel wichtiger ist, dass das Internet das Bewusstsein der Chinesen neu formt. Wir von Sohu.com verändern den Informationsfluss auf eine Art und Weise, dass jeder verstehen kann, was Marktwirtschaft bedeutet und dementsprechend eigene Entscheidungen treffen kann. Die Zukunft der neuen Wirtschaft, ihr Potential, liegt nicht in fixen Kapitalwerten, sondern in den Ideen der Menschen. Nur mit ihnen kommen wir dem Ziel aller chinesischen Intellektuellen näher: Unser Land stärker zu machen.“

Plötzlich erscheint Zhang mehr als Intellektueller denn als Unternehmer, ist mehr Revolutionär als Realist. Sein weiter Weg aus der Abgeschiedenheit vermag das zu erklären. Zhang erinnert sich an die Zeit der Kulturrevolution, während der die meisten Schulen geschlossen waren: „Die Grundschuljahre waren für mich die schönste Zeit meines Lebens. Den ganzen Tag verbrachte ich beim Spielen mit den Nachbarjungen. Auf uns Kindern lastete damals keinerlei Druck.“

Ist es dieser frühe Ausbruch aus dem Diktat von Schule und Familie, der Zhang später hilft, für Neues offen und flexibel zu bleiben? Eine ganze Generation von Kindern der Kulturrevolution, die aus dem Nichts, das Mao hinterließ, ihre bis heute ungebrochene Kreativität schöpfen, empfindet das so. Zhang eingeschlossen.

Im Alter von elf Jahren aber hört der Kinderspaß für Zhang auf. Er verlässt das Elternhaus, um die bessere Schule in der Provinzhauptstadt Xian zu besuchen. Nun beginnen die Pauk- und Büffeljahre, ohne die kein chinesisches Kind an eine der höheren Universitäten des Landes gelangt und schon gar nicht als Stipendiat nach Boston. Schon mit 29 Jahren führt der Harvard-Absolvent Zhang dort ein anspruchsvolles amerikanisches Leben.

Doch dann kommt Zhangs 30. Geburtstag und der Harvard-Doktor bucht nach Peking – ohne Rückfahrkarte.

Kurz zuvor hat er alte Freunde von der Peking-Universität in Boston empfangen, die ihm vom Comeback der chinesischen Hauptstadt nach Studentenrevolte und Tiananmen-Massaker erzählen. „Ihre Berichte schockierten mich und ich entschied, die nächste Gelegenheit zur Rückkehr zu nutzen“, sagt Zhang. Auch hier ist er dem Trend voraus: Heute, fünf Jahre später, versuchen immer mehr Chinesen, die über ihre Studien zu einer Stellung im Westen gefunden haben, ihren mühevoll ergatterten Job gegen einen neuen Posten in China einzutauschen, der ihnen langfristig bessere Bezahlung und ein Prestige verspricht, das sie im Ausland nie erreichen können.

Der Anfang in Peking aber erweist sich für Zhang als schwierig. Drei Jahre erprobt er verschiedene Unternehmensmodelle, von denen keines Gewinne abwirft, bis er 1998 als Vorsitzender von Sohu.com ein Internetportal eröffnet. Es ist das Jahr, in dem das weltweite Netz in China abhebt. Und mit ihm Zhang. Noch im Oktober des gleichen Jahres erscheint sein Name in einer Liste des US-Magazins Time, die ihn unter fünfzig „digitale Helden“ der Welt einreiht. Sein Vermögen gibt Time mit 4,5 Millionen US-Dollar an. Im Vergleich zu heute war Zhang damals noch ein armer Schlucker. Denn inzwischen ist er einer der reichsten Männer Chinas.

Doch die Zeit, in der er wie Bill Gates anderen das Tagesgeschäft überlassen kann, ist für Zhang noch lange nicht gekommen. Schon morgen können ihn seine Konkurrenten überholt haben. Unter ihrem Druck hat Sohu.com im Verbund mit dem skandinavischen Mobiltelefonhersteller Nokia das erste Internet-kompatible Handy auf dem chinesischen Markt lanciert.

Nach solchen Erfolgen lacht Zhang stolz wie ein kleiner Junge. Aber er versucht sich nie allein in Szene zu setzen. Als das neue Sohu-Nokia-Gerät Anfang Mai in einem alten kommunistischen Stadtteiltheater vor zweihundert gierigen chinesischen Journalisten der Öffentlichkeit präsentiert wird, nimmt Zhang einen seiner jungen, nur in China geschulten Webmaster mit auf die Bühne. Dort spricht er von seinem Begleiter als „Helden im Hintergrund“, der den Traum wahrmache, jedem Chinesen das Internet in die Tasche zu stecken. Kommt es dabei auch zu politischen Fragen, wagt Zhang in der Öffentlichkeit keine Risiken: „Unter Führung der Regierung wird die drahtlose Internettechnologie in China neue Höhen erreichen“, balsamiert er die Medien im politisch korrekten Parteichinesisch.

Der neue Führer-Typ

Dass der Sohu-Chef dennoch auch politische Grenzen testen will und sich nicht mit einer braven Superboy-Rolle begnügt, demonstriert sein bislang größter öffentlicher Auftritt in der „Sporthalle der Hauptstadt“ aus Anlass des zweijährigen Firmenbestehens von Sohu. Vor zehntausend begeisterten Pekinger Fans, die Sohu gratis in die alte Massensportarena der Kommunisten geladen hat, reiht sich eine Rede Zhangs in die Shows von Rockmusikern, Liedermachern und Punkbands ein. Allein das Erscheinen des Sohu-Chefs neben den CD- und Videoidolen der chinesischen Jugend dürfte viele Parteiführer gestört haben. Zumal Zhangs Worte an die Fans seine Ambitionen kaum verbergen: „Menschen haben Träume. Menschen wollen Reichtum schaffen“, skandiert der Internetstar im für ihn typischen Freizeitlook mit Baseball-Mütze und Turnschuhen. „Mit einfachen Ideen führen wir China in ein modernes Leben.“

So spricht einer, der seine Ideen nicht nur verkaufen will. Das aber macht die Internet-Revolution in China so spannend: Da ihre jungen Führer eine Entwicklung antreiben, die mehr als alles andere Hoffnung auf schnelleren Wohlstand in China verspricht, könnten sie dem Volk bald mehr Respekt abnötigen als die alternden KP-Führer. Zumal die Generation von Zhang durch ihre Erfahrungen in der Kulturrevolution und der gescheiterten Studentenrevolte auch etwas von Politik versteht. Schon heute gibt es kaum einen Augenblick, in dem Chinas jugendlicher Bill Gates neben wirtschaftlicher und technologischer Kompetenz nicht auch soziale und politische Anliegen vermitteln will.