Kampf dem Olivton

■ In der Galerie Reinfeld sind Mappenwerke des Reutlinger Künstlers Winand Victor aus vier Jahrzehnten zu sehen

In einem wunderbaren Land, vor gar nicht allzu langer Zeit, war eine Biene wohl bekannt. Behauptet jedenfalls Karel Gott. Aber stimmt das denn? 1967 beispielsweise, hatte da etwa jemand Augen für diese Biene namens Maja? Ach was. Damals litt die Welt an kollektiver Genickstarre, weil doch „der Amerikaner“ und „der Russe“ sich einen Wettlauf um den ersten Besuchstermin beim Mann im Mond lieferten. Auf Blüten nach pseudoprominenten Fluginsekten suchte da niemand. Die ganze Welt blickte nach oben. Die ganze Welt?

Nicht ganz. Im fernen Reutlingen, umzingelt von Mondsüchtigen, saß Winand Victor. Und suchte mit der Radiernadel tief unter der brodelnden Erdkruste nach Abenteuern, die manch anderer seiner Zeitgenossen am entgegengesetzten Ende der Welt vermutete. Riesige, vielgliedrige Knäuel pressen auf Victors Radierungen aus jener Zeit die Erdschichten auseinander, gewaltige, blumenzwiebelähnliche Gebilde suchen sich nach und nach ihren Weg an die Oberfläche, gigantische Muscheln, deren Größe man nicht einmal erahnen kann, blinzeln durch die in Unruhe geratenen Erdmassen. Oben aber, auf jener dünnen Erdschicht, auf der die Menschen sich unter tiefschwarzem Himmel daran machen, sich zum omnipotenten Herrscher des Weltalls aufzuschwingen, ahnt man von alldem nichts. Die Gestirne verstrahlen ihr kaltes Licht, Flugzeuge zeichnen feine Linien ans Firmament. Irgendwo, irgendwann, irgendwas – in jedem Fall Einschneidendes wird sich ereignen, scheinen Victors menschenleeren Arbeiten zu sagen. Eine Welt in angstvoll gespannter Erwartung?

Zumindest die Welt eines Künstlers, dessen feines Gespür für tektonische Veränderungen im Gesellschaftsgefüge in eigentümlichem Gegensatz zu seiner Bereitschaft steht, sich den stilistischen künstlerischen Umwälzungen seines Jahrhunderts anzupassen. Der inzwischen 82-Jährige, so legen seine in der Galerie Reinfeld zu sehenden Mappenwerke von 1960 bis heute nahe, ist ein eigensinniger Kopf.

Als im Nachkriegsdeutschland das Informel dominierte, malte Victor figurativ. Als Pop-Art und Fotorealismus den Ton angaben, entdeckte Victor den Reiz der Abstraktion. Und ehe die Ära der malenden Jungen Wilden anbrach, collagierte Victor Stadtpläne, Zeitungsartikel oder historische Figuren wie Nosferatu oder Dante zu umfangreichen Bilderzyklen wie etwa „Elf Städte“ oder „O Firenze“.

In seiner jüngsten ausgestellten Arbeit, einer sechsteiligen kleinformatigen Aquarellserie, hat Victor die Farben für sich entdeckt. Verwaschene Olivtöne ergießen sich schwerfällig über das Blatt, um am Rand von leuchtend gelben, roten oder orangen Flächen in Empfang genommen zu werden, gerade so, als erfreue sich Victor daran, dem allzermalmenden Farbstrom noch immer die pure Lebenslust entgegen setzen zu können. Ein bekennender Gottgläubiger ist da am Werk, dem die Angst vorm Tod nicht ernstlich schreckt. Und während Victor auf seinen Aquarellen stille Triumphe feiert, richtet sich sein Blick auf den zeitgleich entstandenen Gemälden plötzlich dorthin, wo 1967 die Erdenbürger noch dem neuen Zeitalter entgegenstarrten.

Großformatige Bilder, die in jedem Trekkie-Fanclub einen Ehrenplatz einnehmen könnten, suchen in den dunklen Weiten des Alls nach dem grell leuchtenden Geheimnis des Lebens. Das wohl irgendwo dort vor sich hin leuchtet. Für einen 82-Jährigen, den die Naturgesetze und alle anderen gnadenlosen Kräfte dieser Welt in die Knie zwingen wollen, eine beeindruckend souveräne Blickrichtung. zott

bis zum 16. Juni, Am Weidedamm 7. Infos unter Tel.: 35 57 07