„Vergeudung ist nicht emanzipatorisch“

Studiengebühren sind der falsche Weg, um die Reform der Hochschulen voranzubringen, findet der frühere Studi-Aktivist Jochen Geppert vor den heutigen Demonstrationen gegen Studiengebühren. Viel wichtiger wäre es, der Verschwendung in den Unis durch Kostentransparenz zu begegnen

taz: Ist es antiquiert, gegen Studiengebühren zu sein? Noch nicht mal die aktuelle Studentengeneration ist dagegen.

Jochen Geppert: Na klar sind die dagegen. Heute finden Demonstrationen gegen Gebühren in Köln, Stuttgart und Berlin statt. Die große Mehrheit dieser Studentengeneration spricht sich, obwohl sie eher unpolitisch und funorientiert ist, gegen Gebühren aus. Da war bei den großen Protesten der Studierenden im Jahr 1997 genauso. Nur die Politik hat das in ihrem Zynismus damals nicht verstehen wollen.

Warum das? Politiker aller Parteien fanden den „Lucky Strike“ und die Forderungen der 97er-Studenten ganz großartig.

Eine der ganz wenigen gemeinsamen Forderungen lautete damals: Wir Studenten wollen das bezahlte Studium nicht. Was hat die Politik daraus gemacht? Die sagte: „Ihr habt ja so recht“ – und diskutierte danach drei Jahre lang darüber, wie man Studiengebühren einführen kann. Das nenne ich zynisch.

Inzwischen fragen sich viele Studis in den Unis: „Warum soll ich gegen Gebühren sein?“

Die tun das nur, solange sie keine realen Erfahrungen mit Gebühren machen. Die Reaktionen an jenen Hochschulen, die bereits Geld verlangen, sind eindeutig. Die Studierenden wehren sich gegen Uni-Gebühren. Auch juristisch, notfalls durch die Instanzen hindurch. Die spüren einfach: Gebühren sind für sie eine Riesenbelastung. Sie empfinden es als ungerecht, wenn Studieren Geld kostet. Und als unsozial.

Der niedersächsische Wissenschaftsminister Thomas Oppermann, ein Sozialdemokrat, behauptet glatt das Gegenteil: Uni-Gebühren schafften erst soziale Gerechtigkeit. Er bemüht sogar Karl Marx, nach dem unengeltliche höhere Lehranstalten nur eins bedeuten: „den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen Staatssäckel zu bestreiten“.

Der Herr Minister hat weder was von der Situation an den Unis noch was von Marx begriffen. Wenn sich an den Hochschulen heute so viel mehr Beamtenkinder und Gutbetuchte als sozial Schwache tummeln, ist das eine direkte Folge der miserablen Bafög-Politik der Kohl-Regierung. Das ist ein schöner Sozialdemokrat, der jetzt von den reichen Studis Geld verlangt, da die armen Würstchen aus den Unis rausgedrängt sind. Und sich dann noch auf Marx beruft! Zu Marx’ Zeit genossen vielleicht 1,5 Prozent eines Jahrgangs das Privileg des höheren Unterrichts in Form von Abitur oder gar Studium. Wer Marx’ Argument auf die heutige Situation anwendet, verstärkt und verfestigt die soziale Schieflage in den Unis, die Kohl herbeigeführt hat. Das hat weder mit Demokratie noch mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.

So schlimm wird es nicht kommen. Die Kultusminister haben vergangene Woche beschlossen, dass Gebühren zwar für Langzeitstudierer möglich sind, das Erststudium aber gebührenfrei bleiben soll.

In Wahrheit ist der Beschluss eine Kehrtwende in der Hochschulpolitik. Rot-Grün war angetreten, die leidige Debatte ums bezahlte Studium zu beenden und Studiengebühren zu verbieten. Nun kostet Studieren über die Regelstudienzeit hinaus bald überall im Land Geld. Und da wundern sich die Grünen, dass ihnen die jungen Wähler davonlaufen. Diese Gebühren-Kehrtwende wird sich im Bewusstsein der Studierenden niederschlagen: Jede Studienentscheidung steht nun unter einem verschärften ökonomischen Kalkül.

Wie wird sich die Gebührensituation in Deutschland jetzt entwickeln?

Die meisten Länder werden Gebühren für Leute einführen, die länger studieren. Da ist es egal, ob das Modell der so genannten Studienkonten oder das der Bildungsgutscheine verwendet wird, es läuft auf das gleich hinaus: Es wird begrenzt, wie viele Semester oder Semesterwochenstunden man kostenfrei studieren kann. Perspektivisch ist es natürlich ein Leichtes, das kostenfreie Kontingent zu verkleinern. Dann zahlen alle Studenten Gebühren. So einfach ist das.

Das heißt, es gibt bald Studiengebühren von 1.000 Mark pro Semester für alle?

Ich halte das durchaus noch für offen. Denn das ist ein Prozess, den die Studierenden selbst mit beeinflussen können. Und ich hoffe ehrlich gesagt auf die Einsicht in den Ländern. Dieser Beschluss wird nämlich an den Hochschulen nichts bewegen. Er wird zudem nicht wirklich Geld einspielen.

Aber es werden bereits Einnahmen erzielt. Baden-Württemberg hält jetzt schon die Hand auf, wenn die Regelstudienzeit um vier Semester überschritten ist. Brandenburg und das Saarland haben es angekündigt.

Klar kommt ein bisschen Geld rein. Aber das ist vom Umfang her viel zu wenig, als dass diese Einnahmen den Staat aus seiner Verantwortung entlassen würden. Damit enthält der Beschluss der Kultusminister auch die Bestätigung, dass die Finanzierung der Hochschulen eine staatliche Aufgabe ist. Das einzig Gute an dem Beschluss der Kultusminister aber ist, dass wir die Debatte über die angebliche Wunderwaffe Studiengebühren vorläufig los sind. Jetzt kann man über die wichtigen Themen diskutieren.

Zum Beispiel?

Wir müssen darüber nachdenken, was mit dem vielen Geld passiert, das die öffentliche Hand in die Unis steckt. Es gibt keinen anderen mit Steuergeldern bezahlten Bereich, in dem Jahr für Jahr zig Millionen rübergeschoben werden. Einfach so. Ohne Rechenschaft. Die Unis müssen nicht belegen, wie viele Studienplätze sie schaffen. Wie viele Absolventen mit welcher Qualifikation sie entlassen. Über all das erfolgt keine Auskunft.

Was wäre dein Modell, um dem abzuhelfen?

Der Staat selbst soll endlich als kritischer Nachfrager universitärer Dienstleistungen auftreten. Er soll die zu einem ausgehandelten Preis bezahlen und regelmäßig die Qualität der Studienplätze überprüfen. Das Ganze wird vertraglich ausgehandelt. Das Instrumentarium dafür gibt es ja bereits, es heißt Zielvereinbarungen. Darin kann man auch Qualitätssicherung, Prozesse der Beteiligung von Studenten und so weiter verankern. Dann ist Schluss damit, dass die Unis irrsinnig viele Mittel erhalten und kaum Rechenschaft darüber ablegen müssen.

Gerade hat die Uni-Informatik der Republik beklagt, dass sie des Andrangs von Studis nicht Herr werden könne, weil sie zuwenig Mittel habe. Du sprichst jetzt von zu viel Geld?

Ja, so ist das. Auf der einen Seite haben die Unis viel Geld, um ihre wichtige Aufgabe zu erfüllen: Leute klüger zu machen, Wissen bereitzustellen. Dafür könnte man getrost noch mehr Geld aufwenden. Auf der anderen Seite sind die Hochschulen nicht bereit, Kostentransparenz herzustellen. Das ist ähnlich wie im Gesundheitswesen. Da sitzt ein Kartell von Professoren, das die Mittel Geld nach Gutdünken verfrühstückt. Diejenigen, die oben sitzen und die Knete einsacken, Ärzte oder Profs, schreien, es müsse immer mehr Geld ins System. Dabei werden da horrende Summen investiert. Im Gesundheitswesen sind es Billionen. In der Bildung rund 170 Milliarden jährlich.

Was kann man dagegen tun?

Es ist ganz wichtig, den Schleier der Intransparenz herunterzureißen. Denn eins ist doch ganz klar: Die Professoren mit ihren garantierten Mehrheit, die haben doch keine Interesse, sich in die Karten gucken zu lassen.

Nicht wenige Leute sind der Meinung, dass die Unis sich endlich um ihre Kunden bemühen müssen. Und aus Studierenden werden nun mal Kunden, sobald das Gut „Bildung“ etwas kostet.

Das nenne ich neoliberalen Steuerungskitsch. Allein dadurch, dass ich Gebühren zahle, habe ich doch keinen Einfluss darauf, was mir die Uni in welcher Güte anbietet. In Berlin und anderen Bundesländern werden in einer Art Feldversuch 100 Mark Verwaltungsgebühren erhoben. Was hat sich dadurch an den Unis verbessert? Für die Studierenden nichts: Der Service ist nicht besser geworden, die Studienordnungen haben sich nicht verändert, kein einziger Tutor wurde zusätzlich eingestellt. Die einzigen Gewinner waren die Finanzminister – die haben das Geld eingesteckt. Von wegen Kundenorientierung! Abzocke ist das.

An demokratischem Einfluss hat es den Studis nichts gebracht. Aber mit echten Gebühren hätten sie sehr wohl Einfluss: Sie könnten die Uni wechseln, wenn sie nicht gut ist – und ihr Geld an eine andere tragen.

Diese Freiheit ist vollkommen fiktiv. In der Realität haben die meisten diese Freiheit nicht: weil sie bei den Eltern wohnen, weil die ZVS ihnen einen Studienort zugewiesen hat, weil sie durch ihre Jobs gebunden sind. Die Leute gehen heute bereits zu 70 Prozent malochen, sonst können sie sich das Studium gar nicht leisten. Da ist es doch absurd, denen eine angebliche Marktmacht für den Fall zuzuschreiben, in dem das Studium erst richtig teuer wird.

Wären Gebühren akzeptabel, wenn es ein Bafög für alle gäbe?

Nein. Ich sehe da keinen Zusammenhang.

In Ländern wie den Niederlanden gibt es den: Die geben all denen Stipendien, die das Talent zum Studium haben, aber nicht die Mittel. Von dem Stipendium zahlen sie Lebensunterhalt und ihr Kundenpotenzial.

Wenn das, was da an Stipendien käme, realistisch für Lebensunterhalt plus Studiengebühren ausreichen soll, würden die Finanzminister in diesem Land durchdrehen. Mit anderen Worten: Wer sich auf diese Logik einlässt, kriegt garantiert Studiengebühren – aber kein annähernd bedarfsdeckendes Bafög.

Die Kultusminister immerhin sind sich einig.

Die wollen jedem Studi 400 Mark geben, die aus dem bisherigen Kindergeld kommen sollen. Davon soll man dann Studiengebühren bestreiten. Und wovon zahlen die Studenten Miete? Aber das kleine Bafög für alle wird ohnehin nicht kommen – bei den familienpolitischen Vorstellungen von Kanzler Schröder. Der lehnt es sogar ab, den Sockelbetrag von 400 Mark an die Studis direkt auszubezahlen – weil deren Eltern das Kindergeld brauchen, um davon ihren Neuwagen und ihre Häuschen abzubezahlen. Familienpolitik für die Autoindustrie ist das.

Einerseits bist du für den ökonomischen Durchblick . . .

. . . aber andererseits bin ich nicht für die Marksteuerung. Ihr Kernproblem ist nämlich, dass dabei jene nicht steuern können, die aus finanziellen Gründen nicht nachfragen können. Das heißt, bestimmte Leute werden an der Distribution gesellschaftlicher Güter nicht teilhaben können. Wenn wir ein Bildungssystem haben wollen, das jedem eine realistische und nicht nur eine virtuelle Teilhabe gibt, muss man die Frage nach der Effizienz stellen. Verschwendung ist schließlich nicht emanzipatorisch.

Warum vertraust du dem ziemlich abgehobenen Aushandeln von Hochschulverträgen zwischen Staat und Uni mehr als der Abstimmung mit den Füßen durch die Studis als Kunden?

Weil ich mich nicht von der Universität als demokratischer Gesellschaft aller ihrer Mitglieder verabschieden möchte. Nach meinem Bild sind in der Uni alle für die Bedingungen vernatwortlich, die darin herrschen. Das gehört auch zum Ziel des lebenslangen Lernens: selbst mitzugestalten, wie Lernen abläuft und was gelernt werden soll – das heißt, die Organisation aktiv mit zu verändern. Ich will die Leute nicht zu bloßen Konsumenten von Angeboten machen. Die sollen sich einmischen, die sollen sich für ihre Institutionen verantwortlich fühlen. Das ist kein idealistischer Anspruch. Das brauchen wir einfach, wir, die ganze Gesellschaft.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER

Jochen Geppert, 32, arbeitet als Organisationsberater. Der frühere Studentenvertreter an der FU Berlin ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.