Den Strand für seine Besetzung freigegeben

Im Zuge der Debatte um Peter Sloterdijks Regeln für den Menschenpark erweist sich, wie aktuell Michel Foucaults These vom Ende des Menschen und dem leeren Raum des Denkens immer noch ist. Nur wird man beim Ansatz des großen französischen Antihumanisten nicht stehen bleiben können

von ACHIM GEISENHANSLÜKE

Wer Foucault Antihumanismus vorwirft, rennt offene Türen ein. Bereits die zeitgenössische Kritik hatte ihm aufgrund des in der „Ordnung der Dinge“ formulierten Diktums vom „Ende des Menschen“ Geschichtsblindheit und Antihumanismus vorgeworfen. Und so scheint die Frage nach einem von Foucault sich herleitenden Antihumanismus, die sich heute im Zusammenhang mit der von Sloterdijk lancierten Debatte um den „neuen Menschen“ mit einiger Dringlichkeit stellt, zunächst nur die wenig ertragreiche Frontstellung zwischen Foucault und Sartre Ende der 60er-Jahre zu wiederholen. Dabei ist der Vorwurf des Antihumanismus an Foucault nicht nur berechtigt, sondern von ihm auch ausdrücklich erwünscht: „Unsere heutige Aufgabe besteht darin, uns endgültig vom Humanismus zu befreien“, fordert Foucault in einem Interview aus dem Jahre 1966, und er selbst kommt dieser programmatischen Forderung nach, wenn er die „Ordnung der Dinge“ mit dem berühmten Schlusssatz ausklingen lässt, „dass der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“.

Foucaults fast schon allzu deutliche Kritik am Humanismus lässt jedoch zugleich einigen Interpretationsspielraum offen. Denn ihr Gegenstand ist nicht der Mensch als solcher, sondern die subjektzentrierte Philosophie der Moderne. Gegen den Menschen richtet sich Foucaults scharfzüngige Polemik schon in den 60er-Jahren, da er in ihm das Resultat einer erkenntnistheoretischen Operation erkennt, die mit Kants transzendentalem Subjekt beginne und nun ausklinge. Und so fordert Foucault, Kants Philosophie des Subjekts in Richtung auf eine transzendentale Leerstelle zu überschreiten, die das Denken heute bestimmen soll: „In unserer heutigen Zeit kann man nur noch in der Leere des verschwundenen Menschen denken. Diese Leere stellt kein Manko her, sie schreibt keine auszufüllende Lücke vor. Sie ist nichts mehr und nichts weniger als die Entfaltung eines Raums, in dem es schließlich möglich ist, zu denken.“

Ist eine Philosophie, die sich aus subjektkritischen Quellen speist, aber notwendig eine antihumanistische Philosophie? Dass das nicht unbedingt der Fall sein muss, zeigt etwa das Beispiel Freuds, dem man gewiss nicht unterstellen wird, von einer subjektzentrierten Form der Vernunft auszugehen, dessen Denken trotz allem aber in einer humanistischen Tradition steht. Und so sind auch leicht gemeinsame Motive von Freud und Foucault auszumachen, die dessen Antihumanismus nicht länger als eine ausgemachte Sache erscheinen lassen. Denn in ganz ähnlicher Weise wie bei Freud liegt Foucaults ursprüngliche Intention darin, der subjektzentrierten Vernunft der Moderne durch die Konfrontation mit dem Wahnsinn als dem Anderen der Vernunft ein Korrektiv entgegenzustellen, das die Einseitigkeiten des rationalistischen Denkens beheben soll.

Allerdings geht Foucaults hellsichtige Korrektur an der einseitigen Konzeption der Vernunft in der Moderne tendenziell in einer ontologischen Bestimmung des Menschen unter, die dessen Sein nur noch als Verschwinden denkt. Schreibt sich Foucaults subjektkritische Philosophie zeitgeschichtlich in die in den Fünfzigerjahren einsetzende Abkehr von der französischen Tradition der Phänomenologie ein, die zu wesentlichen Teilen politisch motiviert ist und dem kommunistischen Parteibuch gilt, so sucht Foucault zugleich in der Sprache der Dichtung den Fluchtpunkt des Subjekts. Als „Widerscheinen des lebendigen Seins der Sprache“ feiert Foucault die Literatur der Moderne, da er in ihr die Instanz erkennt, die den Menschen aus seiner transzendentalphilosophischen Verkettung löse: „Der Mensch hat sich gebildet, als die Sprache zur Verstreuung bestimmt war, und wird sich deshalb wohl auflösen, wenn die Sprache sich wieder sammelt“, lautet die sprachtheoretische Voraussetzung von Foucaults viel diskutiertem Diktum vom Tod des Menschen.

Foucaults Ausgangsthese vom Verschwinden des Menschen im Sein der Sprache muss dabei jedoch eine empfindliche Korrektur erfahren. Sicherlich kann es nicht darum gehen, ein konstituierendes Subjekt wieder einzuführen, wie manche Kritiker Foucaults es fordern. Vielmehr handelt es sich darum, den Zusammenhang von Sprache und Subjektivität zur Geltung bringen, der in Foucaults eigenen Bestimmungen angelegt ist. Denn hinter der scheinbar selbstbewussten Forderung vom Verschwinden des Subjekts in der reinen Ordnung der Sprache verbirgt sich eine defensive Strategie, deren Kontur deutlich wird, wenn Foucault sich in der „Ordnung der Dinge“ auf die Hilflosigkeit der Menschen bezieht, die nicht über die Sprache verfügen. Im Unterschied zum Sein der Sprache in der Literatur, die, wie Lautréamonts berühmtes Beispiel vom Regenschirm und der Nähmaschine auf dem Operationstisch zeige, auch heterogene Elemente im fiktiven Ordnungsraum der Sprache versammle, ende die Aphasie in einer Zerstreuung der Identität, die bis an den Rand der Angst führe. Wie das Beispiel der Sprachlosigkeit als Kontrafaktur der Literatur der Moderne zeigt, steht hinter Foucaults These vom Verschwinden des Subjekts der Schatten einer bedrohten Subjektivität, die in der Sprache ihre letzte Zuflucht zu finden versucht. Was Foucault im Sein der Sprache findet, ist das Verschwinden des Menschen, was er sucht, ist eine Form der Subjektivität, die von Angst frei wäre.

Vor diesem Hintergrund bleibt Foucaults Verhältnis zum Humanismus ambivalent. Widersprüchlich ist aber nicht allein Foucaults Philosophie selbst, widersprüchlich sind auch die Konsequenzen, die aus ihr heute erwachsen. Denn mit der These vom Ende des Menschen schreibt Foucault dem zeitgenössischen Denken einen Raum der Leere vor, in den sich auch die Debatte um den neuen Menschen im Genpark der Moderne einlassen kann. Diesen Raum in seiner transzendentalen Leere zu belassen, wie Foucault es 1966 gefordert hat, erscheint heute anscheinend als zu wenig. So scheidet sich die philosophische Auseinandersetzung um den Menschen heute in zwei Lager: Entweder ermöglicht das Verschwinden des Subjekts eine neue Form des Menschen, wie sie bereits Nietzsche gelehrt habe, oder es erwächst aus dem angeblichen Ende des Menschen die Notwendigkeit einer Ethik der Moderne, die dem Menschen wieder zu seinem Recht verhilft. Dass beide Positionen sich mit unterschiedlichen Begründungen auf Foucault berufen können, zeigt, wie aktuell seine Philosophie im Streit um den Humanismus noch immer ist.

Stark gekürzte Version des Vortrags, den der Autor, wissenschaftlicher Assistent an der Uni Duisburg, Fachbereich Germanistik, heute im Rahmen der Ringvorlesung „Streit um den Humanismus“ an der FU Berlin hält.