Energiedialog oder die Kunst des Konsenses

Geschafft: Wirtschaftsminister Müller legt das Ergebnis seines Runden Tisches über die künftige Energiepolitik vor – ein diplomatisches Meisterstück

BERLIN taz ■ Lassen wir mal den Streit beiseite. Kümmern wir uns mal nicht um die Umweltverbände, die im Mai den Energiedialog des Wirtschaftsministers enttäuscht verließen. Ignorieren wir die Unionsparteien, die schon seit Januar nicht mehr so richtig wissen, ob sie noch dabei sein wollten oder nicht.

Reden wir über die Kunst des Konsenses. Nur so kann man das 34-seitige Papier über die Zukunft der Energiepolitik von Wirtschaftsminister Werner Müller angemessen würdigen. Denn der pure Inhalt ist so ausschweifend wie allgemein: Die Steinkohle bleibt wichtig; die regenerativen Energien müssen mehr werden; dafür sollten möglichst wenig Subventionen fließen; der Markt regelt alles am besten – wo nicht, soll es die Politik tun; Energie muss gespart werden; Jobs sollen entstehen.

Wie man Konsens kunstvoll schnürt, zeigt Punkt 42. Hier geht es um den künftigen Energiemix (die Mischung der Energiequellen, heute vor allem Öl, Kohle und Atomkraft). Punkt 42 beginnt mit einer klaren Ansage: „Eine deutliche Veränderung des Energiemixes ist notwendig.“ Fast eine Provokation! Also darf es nicht mehr konkreter werden. Daher folgt: „Sie ist allerdings nur schrittweise möglich ...“, die Stromkonzerne lassen grüßen, „... und erfordert Zeit.“ Gruß auch von der Gewerkschaft.

Doch Wind- und Solarwirtschaft sowie Grüne machen einen zweiten Anlauf in Satz drei: „Zentraler Bestandteil sind der Einsatz regenerativer Energien und eine ...“ immerhin „... deutliche Effizienzsteigerung beim Einsatz fossiler Energieträger.“ (Also Öl, Kohle und Gas.) Weiter heißt es: „Als Vorsorge gegen Klimaveränderungen und aufgrund der Endlichkeit der Energievorräte muss der Beitrag der fossilen Energieträger perspektivisch reduziert und durch nicht endliche Energieträger ersetzt werden.“ Hübsch: ein Hinweis auf die Naturgesetze. „Dabei müssen die technologische Entwicklung und Wirtschaftlichkeitsaspekte ebenso berücksichtigt werden ...“ – Industrieverband pocht auf Marktwirtschaftlichkeit – „... wie die Ressourcensituation in Deutschland ...“ – Kohleindustrie will ihren „heimischen“ Energieträger geschützt sehen – „... sowie die Nutzungsdauer der Anlagengüter.“ Die Stromkonzerne sorgen sich um ihre Altanlagen. Und dann wollen Gemeinden und Gewerkschaften noch was loswerden: „Die Gefahr regionaler und sozialer Verwerfungen ist bei der Rahmensetzung zu beachten.“

So liest sich das gesamte Papier: keine Aussage, die nicht bis zur Beliebigkeit relativiert würde. So bleibt am Ende als einziger Gewinn, dass man es – wie Gastgeber Werner Müller sich ausdrückt – „an einem Tisch zum konstruktiven Gespräch gebracht hat“. Dass das „vergiftete Klima“ überwunden sei, wie Dialogteilnehmer Gerhard Goll ergänzt, der Chef des Stromkonzerns EnBW. Wenn das keine Werbung für den Konsens ist.

MATTHIAS URBACH

Wenn das Ministerium so weit ist, wird das Papier zu lesen sein auf www.energiedialog2000.de