Der Paradiesvogel

Die Bodypainterin und Future-Soul-Sängerin Kelis polarisiert die Kritik  ■ Von Jörg Feyer

Eine Künstlerin, die die ernstzunehmende Kritik polarisiert, also ihr Pensum (noch) nicht in vorgestanzten Kästchen-Sätzen absolvieren muss, ist immer interessanter als ein Konsens-Act. Schon allein deshalb, weil im offenen Pro und Contra auch lohnende Struktur- und Begriffs- Debatten losgetreten werden können. Kelis polarisiert die Kritik. Die 20-jährige Predigertochter, die ihre ersten Gesangslektionen schon ganz früh im Harlem Boys Choir absolviert hat, kann gerade mal auf ein Album verweisen und ist doch schon für einige Fluch und für viele Segen einer wahlweise schönen oder grausamen, aber definitiv neuen, im Umbruch begriffenen Rhythm'n'Blues- und Soul-Welt. Oder gehört beides vielleicht gar nicht mehr zusammen?

Die Süddeutsche Zeitung zum Beispiel ortet die Seele des klassischen Soul heute eher in den Samplern schwarzer Techno-DJs und in den Reimen der besseren Rapper als in der makellosen, entpolitisierten, mit sexuellen Stereotypen hausierenden Video-Scheinwelt des zeitgenössischen R'n'B Kelis, die sich „auf ihre Punk-Vergangenheit berufe“, um in noch unerschlossene Segmente des weißen Marktes einzubrechen. Bloße Strategie mithin, für die man doch bitteschön nicht das Wort „Soul“ missbrauchen sollte. Die Apologeten hingegen feiern Kelis schon jetzt als das Beste, Schönste, Stärkste, was dem R'n'B (und damit auch dem Pop) seit Missy Elliott passieren konnte.

Vielleicht sollte man mal auf dem Teppich bleiben? Dort hat Kelis mit ihrem furiosen Video für den Song „Caught Out There“ zu einer Punktlandung angesetzt. Als purpurroter Feuersturm, der erst durchs Appartement wütet und dann dem untreuen Manne derart hinterherkeift, das man immerzu unwillkürlich den Kopf einziehen möchte, kommt sie da zumindest thematisch als eine Art R'n'B-Nachklapp auf Alanis Morrisette – weniger selbstgerecht freilich, in einem emanzipatorischen Sister Act, der zudem entschlossen mit der vorgestanzten Clip-Welt des Rap und R'n'B bricht, in der sonst entweder brennende Mülltonnen oder Ausschnitte der weiblichen Anatomie die Musik machen.

Das hat zweifellos Missy-Elliott-Format. Doch darüberhinaus scheint noch nicht so viel entschieden, wie manche gerne glauben machen möchten, die vielleicht etwas vorschnell vor der Künstlerin als Bodypainting-Modell (auf dem CD-Cover) kapitulieren. Mag sich Kelis auch als schillernder Paradiesvogel gerieren, ihre Musik „als Spiegel meiner Persönlichkeit“ preisen und ominös auf die „harte Schule“ verweisen, die sie als früh (mit 16) dem Elternhaus Entwachsene hinter sich gebracht hat: Zumindest mit einem Bein steht sie immer noch fest in der R'n'B-Tradition dominierender Produzenten, von der sich andere Acts des neuen Soul wie D'Angelo und Lucy Pearl inzwischen lösen konnten. Bis auf drei Titel, an denen sie selbst mitschrieb, ist Kaleidoscope so vor allem das Baby des Produzenten-Duos The Neptunes und ihrer mal trunken klackernden, mal wuchtig donnernden Future-Beats.

Aber hey: Die Frau, die sich da in „Suspended“ auch mal ganz in ihre eigene Traumwelt zurückzieht, ist man gerade erst 20. Die Akte Kelis? Wiedervorlage in zwei bis drei Jahren, würde ich sagen. Bis dahin schauen wir uns erstmal die Show an und warten ab, ob sie dort tatsächlich (wie in den USA) auch „Hello“ (Lionel Ritchie) und „Born To Be Wild“ (Steppenwolf) für sich entdeckt. Und ob das weiter polarisiert. Oder viele, viele Feuerzeuge entflammt.

Mi, 14. Juni, 21 Uhr, Große Freiheit