Der Tränenzieher

■ Über Dominique Horwitz' Jacques-Brel-Programm ist nur eins zu sagen: brillant!

Das Schöne an Robert de Niro ist ja, dass er in jeder Rolle aufgeht – und zugleich stets de Niro bleibt. Das hat mit Method Acting zu tun, mit Stanislawski. Nun hat man kaum je gehört, dass Schauspielkunst und Chanson besonders eng zusammenhingen. Stimmt aber trotzdem. Wenigstens heute.

Da steht Horwitz, klein, im grauen Anzug, vorne an der Bühne. Mit Licht von der Seite oder von oben. Und singt, nein: ist Jacques Brel. Für gut zwei Stunden. Und ist zugleich er selbst. Die Silhouette der fünfköpfigen Band vor dunkelgrauem Hintergrund bestimmt sechs Meter hinter sich. Sieht ein wenig aus, als hätte Robert Wilson Brel inszeniert. Was nicht weit hergeholt ist, schließlich ist der geschmeidige Teufel in des Theatermagiers „Black Rider“ Horwitz' Paraderolle gewesen. Das ist gut zehn Jahre her. Und in der Zwischenzeit scheint der 43-Jährige vor allem Brelstudien betrieben zu haben. Nie war ein Liederabend so perfekt durchchoreographiert, bis in die letzte Bewegung des kleinen Fingers. Und selten dabei so lebendig.

Horwitz Stimme ist quirlig wie die des Belgiers (1929-1978), arbeitet aber mit kleinen Nuancen. So entsteht, kaum merklich, der winzige aber wichtige Raum, der Interpretation von Imitation trennt. Bei all dem kann der Schauspieler sich auf die Band blind verlassen. Man merkt, wie wenig fremd den fünfen die Inszenierung von Musik ist. Schließlich sitzt mit Dietmar Loeffler derjenige am Klavier, der (persönlicher Höhepunkt der ablaufenden Spielzeit) den Rezensenten mit einem Konrad Bayer-Abend zu wahren Lobeshymnen anstiftete. Die Arrangements verdeutlichen die musikalische Bandbreite des Chanson. Neben Marsch und Walzer jede Menge Anklänge zwischen Bigband-Jazz und spätromantischem Klavier.

Der einzige Fehler ist der Plakattext. „Horwitz singt Brel“, steht da. Was nicht stimmt. Er spielt ihn. Mimik und Gestik unterstreichen den oft freirhythmischen, stets erzählerischen Charakter der Lieder und Balladen. Unterstreichen auch das Spielerische im Umgang mit dem Liebesthema, das zugleich ernst genommen und gebrochen wird. Was Horwitz da veranstaltet gleicht Filmfiguren.

Ein Abend, dem nur superlativische Schreibe nahe kommt. Brel ist tot, lang lebe Brel. Oder so. Einer der vielen Höhepunkte: „Les vieux“, das Lied von den alten Liebenden. Das ist unglaublich touchy. Das Bühnenbild verschwimmt für kurze Zeit. Aber das würden wir natürlich nie zugeben. Applaus.

Tim Schomacker