Haut den Moderator!

Pissen, Prügeln, Pöbeln und hier und da ein Tier verwesen lassen: Slipknot setzten auf die gute alte Rock-Masche. Heute Abend wird in der Columbiahalle randaliert

Kaum zu glauben, aber die alte Rock-’n’-Roll-Masche funktioniert doch tatsächlich immer wieder: Hotelzimmer kaputtschlagen, möglichst oft „fuck“ in den Mund nehmen, irre laut und hektisch auf die Instrumente eindreschen und dazu mehr oder weniger unverständliches Zeug durch die Gegend brüllen.

Slipknot haben dieses mittlerweile nur mehr leidlich provokante Konzept, das muss man ihnen zugute halten, immerhin leicht variiert. Die neun stammen aus Des Moines, Iowa, und treten prinzipiell mit Masken auf: Vom Clownsgesicht über den Schweinskopf und das S/M-Leatherface bis zur Eishockey-Maske von Serienkiller Jason aus „Freitag, der 13.“. Dazu tragen sie von 0 bis 8 durchnummerierte rote Overalls.

Sie warten nicht darauf, dass die Medien nachträglich übers Möbelzertrümmern berichten, sie machen das gleich vor laufender Kamera, so in „Kamikaze“ auf VIVA 2. Dabei zerstörte die eine Hälfte der Band so hingebungsvoll die Einrichtung, dass selbst das Großmaul Niels Ruf sichtlich ängstlich wurde, während die andere Hälfte versuchte, mit dem plötzlich sprachlosen Moderator ein ernsthaftes Gespräch zu führen.

Schönes Gewürge

Prügeleien auf der Bühne sollen an der Tagesordnung sein, die Bandmitglieder pissen sich schon mal gegenseitig an, verwesende Tiere treten auch auf, und hin und wieder wird angeblich sogar das Publikum in Mitleidenschaft gezogen. Der Trommler soll sich im Studio so danebenbenommen haben, dass er vom eigenen Produzenten mit einem Blumentopf beworfen wurde.

Und dann ist da natürlich noch ihre Musik: High-Speed-Gitarren, Sampler und sonstige Elektronik, und vor allem ein Schlagzeuger und zwei Percussionisten produzieren ein Gestampfe, Gewürge und Gekotze, gegen das sich selbst Prodigy, Korn, Marilyn Manson und die Rollins Band zusammen wie ein Haufen verschreckter Leipziger Thomaner auf Klassenfahrt ausnehmen.

Allerdings gibt es immer wieder Stellen in Slipknot-Songs, die sogar . . . ja, irgendwie schön sind. Der Refrain der aktuellen Single, „Wait and Bleed“, ist eingängig, poppig, fast einschmeichelnd. Dann aber geht es wieder schön schnell ab, die Felsbrocken purzeln aus den Boxen, und der Rapper, also die Nummer 8 mit dem Ledergesicht, spuckt das letzte Päckchen Reval aus.

Fuck it all

Der New Musical Express sah in Slipknot das musikalische Äquivalent zu den High-School-Morden in den USA. Aber man sollte sich noch auf einiges gefasst machen: „Die Leute denken, wir könnten nicht mehr härter werden“, sagt Schlagzeuger Joey Jordison, die Nummer 1, „aber das wäre ganz einfach für uns. Die Frage ist, ob die Leute dann noch mit uns mithalten werden können.“

Schon jetzt wirken Slipknot ungefähr so aufgebracht, wie man werden muss, wenn man sich nur einen klitzekleinen klaren Moment lang überlegt, was, sagen wir mal, die katholische Kirche so angerichtet hat und weiter anrichtet. Oder auch RTL 2. „Wir sind ziemlich wütend“, meint Percussionist Shawn Crahan, die Nummer 6 mit der Clownsmaske. Wenn das kein Grund ist. Und es gibt ja noch so viel mehr auszusetzen, nicht nur an der Kirche. „Fuck it all! Fuck this world!“, meinen Slipknot, und was soll man sagen: Natürlich haben sie Recht, auch wenn dem einen oder anderen die Texte möglicherweise recht nihilistisch erscheinen mögen. Allzu weit von einer Comedy-Show sind Slipknot allerdings auch nicht entfernt. Man kann das alles auf einen kurzen Satz bringen: Slipknot sind auch ohne Masken und demolierte Möbel eine ziemlich gute Hardcore-Band. THOMAS WINKLER

Heute, 20 Uhr, Columbiahalle,Columbiadamm 13–21