Don Quirühes Sturmangriff

Noch unter Verteidigungsminister Rühe trompetete die Bundeswehr gegen Windkraftanlagen in Ostwestfalen – und wurde gerichtlich weggepustet

„Es wird endlich Zeit, dass wir den Ordner schließen können.“ Nur ein Ordner wäre schön, hinter dem Schreibtisch von Lothar Vössing stapelt sich eine Batterie von Leitz-Ordnern. Der Geschäftsführer einer Baumarktkette aus dem ostwestfälischen Borgentreich (Kreis Höxter) prozessiert gegen die Bundeswehr: „Der Behördenunsinn, mit dem wir seit drei Jahren zu tun haben, geht auf keine Kuhhaut mehr.“

Der Fall ist so skurril wie Don Quijotes Kampf gegen Windmühlenflügel. Und um Wind, genau genommen um moderne Windturbinen, dreht sich alles bei Vössings Prozess. Zusammen mit seinem Schwager Josef Wolf nahm der Ostwestfale im Herbst 1997 zwei Windturbinen in Betrieb, damals die ersten Megawatt-Anlagen in Nordrhein-Westfalen. Kaum waren die ersten emissionsfreien Kilowattstunden produziert, blies die Bundeswehr zum Sturm. Nach Auffassung der Militärs störten die beiden 60 Meter hohen Anlagen den Betrieb ihrer nahe gelegenen Radarstation Auenhausen. Außerdem ständen sie in einer militärischen Sperrzone.

Deshalb kannten die forschen Jungs des damaligen Verteidigungsministers Volker Rühe (CDU) nur eine Devise: Die Mühlen müssen weg. Mehrere Interventionen der Düsseldorfer Landesregierung, die die Turbinen mit immerhin 400.000 Mark aus Steuermitteln gefördert hatte, verpufften auf der Bonner Hardthöhe wirkungslos. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl im September 1998 ließ die zuständige Wehrbereichsverwaltung Düsseldorf den Abrisskran anrücken, eine der letzten verteidigungspolitischen Großtaten von Rühe.

Diesen Einsatz hätte er sich sparen können. Nach dem Abriss kam die Daimler-Benz Aerospace (Dasa) in einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine Kürzung der Nabenhöhe auf knapp unter 50 Meter ausgereicht hätte, den Windkraft-Standort zu erhalten. Die weitaus größere Klatsche ereilte Rühe auf den Oppositionsbänken. Ende Oktober vergangenen Jahres befand das Verwaltungsgericht Minden den Abriss für rechtswidrig. Bei Inbetriebnahme der beiden Mühlen habe es keinen gültigen Schutzbereich um die Radarstation gegeben, urteilte die 2. Kammer. Rühes Mannen war nämlich ein klassisches Eigentor unterlaufen: Sie hatten schlicht vergessen, die Ausweitung des militärischen Sperrgebietes zu veröffentlichen. Und auf ebendiese virtuelle Schutzzone hatte sich die Bundeswehr bei ihrem Abwehrkampf gegen die beiden schlanken Ökokraftwerke immer wieder bezogen.

Es spricht nicht für die Einsichtfähigkeit der Bundeswehr, dass sie im März Berufung gegen das Mindener Urteil einlegte. Ob allerdings das jetzt zuständige Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster die Berufung zulässt, ist nun die große Frage. „Nach menschlichen Ermessen gibt es eigentlich keinen Spielraum“, meint Ex-Windmüller Vössing. Vom Votum der OVG-Richter sind auch die Erfolgsaussichten einer Klage von Vössing und seinem Schwager gegen die Bundeswehr abhängig, bei der es immerhin um vier Millionen Mark Schadenersatz geht. Auch das Land NRW hätte gerne seine 400.000 Mark Fördergelder wieder.

Beim Blick auf die Aktenberge schüttelt Lothar Vössing den Kopf. Der Windmühlenkampf der Bundeswehr sei von Anfang sinnlos gewesen: „Die Technik in der Radarstation ist derart überholt, dass an die 100 Millionen Mark für ein neues Equipment investiert werden müssten.“ Und genau dieses Geld fehle Rühes Nachfolger Rudolf Scharping, der sich derzeit vergeblich gegen die Reduzierung seines Etats wehre.

Sollte die Radarstation Auenhausen ihren Betrieb einstellen, will Vössing noch einmal ins Windgeschäft einsteigen. Auf der Borgentreicher Anhöhe hat er noch einige Grundstücke in petto. Neue Turbinen müsste er allerdings kaufen: Die abgebauten Anlagen sind längst verkauft und drehen sich bereits in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern im Ostseewind. RALF KÖPKE