„Ich dachte, ich würde Prügel beziehen“

Der Konzeptkünstler Thomas Ruff hat sich seine neuen Arbeiten aus dem Internet geholt. Die Fotos der Pornoindustrie verarbeitet er weiter zu unscharfen Aktbildern von eigentümlicher Schönheit. Ein Gespräch über Pixel, Pornostatistiken, Sexbusiness im Web und die Rache der Fotografie

taz: Sex sells, oder was hat es mit Ihren neuen Arbeiten auf sich?

Thomas Ruff: Sex sells auf jeden Fall, die Erfahrung habe ich gemacht. Aber das ist nicht alles.

Und was heißt das? Was war die Idee?

Die Idee war, das Genre Aktfotografie mal durchzuarbeiten. Ich habe also angefangen zu recherchieren, und am einfachsten kann man heute im Internet recherchieren. Indem man irgendwelche blöden Namen eingibt, wie Eva oder weiß der Himmel. Da kommt man dann auf diese „Thumbnail Galleries“, wo man schön aufgelistete Dinger zum Anklicken findet. Das hat mich erst mal ziemlich überrascht. Ich habe festgestellt, dass da Bildmaterial zu finden ist, das mir für mein Vorhaben regelrecht recht kam. Ich hatte anfangs gedacht – ich wusste es eben nicht –, dass ich selbst Aktfotos machen würde, aber das hat sich im Lauf der Zeit einfach erübrigt, weil ich so viel Bildmaterial gefunden habe, das man wunderbar bearbeiten kann.

Sie scheinen erleichert, dass Sie selbst keine Aktfotos machen mussten.

Ja, natürlich. Jedes Foto, das gemacht werden muss, ist mit viel Arbeit verbunden.

Was haben Sie bei Ihrer Recherche über pornografisches Bildmaterial im Internet herausgefunden?

Mich wunderte zunächst, warum es diese Listen im Internet gibt. Ich denke, sie verdienen an der Werbung. Da gibt es diese Banners, manchmal führen die dann direkt auf diese verlockenden Seiten, aber da muss man dann bezahlen. Der Großteil führt auf weitere „Teaser“, weitere Startseiten, auf denen man dann das Versprechen findet, dass jeden Tag viertausend neue Bilder eingestellt würden. Aber ich habe so viele Teaser gefunden, dass ich eigentlich gar nicht weitergehen musste. Und mit der Kreditkarte im Internet bin ich einfach vorsichtig.

Wie kamen Sie zu Ihren Motiven?

Ja, da geh ich mehr oder weniger statistisch vor. Mann, Frau, Mann, Frau, ich achte auf die Quote. Also ich versuche sie einzuhalten. Und dann gibt’s eben diese Kategorien, die fangen an mit „babe“ bis „red heads“ oder „blonds“, „asians“, dann „hardcore“, „bondage“, also jede Menge Fetischsachen, und ich versuchte da repräsentativ zu arbeiten.

Aber wenn Sie sagen, dass Sie statistisch vorgehen, dann stimmt die Abfolge Mann/Frau doch nicht mit der Verteilung der Geschlechter auf den Sites überein?

Ja, die Bilder von Frauen überwiegen. Ich nehme an, es gibt sehr wenige von Frauen gestaltete Seiten. Die meisten Seiten sind wohl von Männern für Männer gemacht, und der Blick ist ein männlicher. Wobei ich nicht weiß, wie Frauen solche Seiten anschauen.

Ich glaube nicht viel anders, vielleicht ist es kein geschlechtlicher, sondern ein marktförmiger Blick. Ein Käuferblick, schließlich sind diese Bilder ja ein Geschäft. Auch für Sie.

Inzwischen ja. Aber nicht alle Sites sind professionelle Sites, viele stammen von Amateuren oder Clubs, von Fetischclubs zum Beispiel, die stellen dann ihre Bilder ins Netz, um sie ihren Clubkameraden (lacht) zu zeigen. Das fand ich auch interessant. Dass der Schmuddelkram wohl das Erste war, was in Massen in das Netz gestellt wurde. Dass die Leute und die Sexindustrie sofort aus der neuen Technik ihren Vorteil gezogen haben. Das war auch bei Aufkommen der Fotografie so, die neueste Bildtechnologie wird sofort von diesem Genre besetzt.

Ihre Bilder sind unscharf. Kommt die Unschärfe daher, dass Sie wirklich diese daumennagelgroßen Teaser genommen haben und immer mehr vergrößert haben?

Die Bildschirmauflösung ist 72 dpi, also ziemlich miserabel. Wenn man so ein Bild auf die jetzige Größe bringen wollte, wäre ein Pixel etwa 2 cm groß. Ich musste mir also was überlegen. Dank meiner Plakatmontagen habe ich einige Erfahrungen mit Photoshop gemacht und mit verschiedenen Filtern gearbeitet. Ich habe begonnen, die Pixel zu verschieben. Wenn man das tut, dann macht der Rechner aus einem 2 cm Pixel wunderbare 36 kleinere Pixel, und mit dieser Technik habe ich die Bilder dann auf diese Qualität gebracht. Die Unschärfe habe ich eben gewählt, weil das Zeug so hässlich ist. Das muss eben überarbeitet werden.

Da stellt sich die Frage: Wollten Sie aus Pornografie Kunst machen und sind dann beim Grafikdesign gelandet?

Ich wollte eigentlich nicht aus Pornografie Kunst machen. Ich hab mich eben gewundert, dass im Netz alle denkbaren sexuellen Praktiken und Vorlieben vorhanden sind. Und mit Sexualität, da hat man mit 15 oder 16 Jahren Probleme, aber mit 40 Jahren sollte man keine mehr haben, also es ist ein sehr erwachsenes Thema. Das hat mich interessiert, das war die Herausforderung.

Ich habe dann ein bisschen mehr recherchiert in der Literatur, was denn eigentlich Pornografie ist, was pervers ist. Pervers ist eigentlich ein Begriff, der aus dem Christentum stammt, die Ketzer waren pervers. Pornografie hat sehr viel mit Gesetzen zu tun – was ist legal, was illegal. Und diese Gesetze waren früher andere Gesetze, und die Begriffe, die heute auf Pornografie angewendet werden, wurden früher auf religiös Andersdenkende angewandt.

Ihre Bilder sind unscharf. Das erinnert natürlich an Gerhard Richter, der ja auch einmal die so genannten Heftln als Bildvorlage nahm. Ich glaube mich zu erinnern, dass Richters Bilder noch diese schwarzen Zensurbalken zeigen. Ich bin aber unsicher. Wahrscheinlich, weil diese Gepflogenheit so weit zurückliegt, dass man es gar nicht mehr glauben mag, dass es das einmal gab. Hatten Sie eigentlich Bedenken hier so direkt gegen Richter anzutreten?

Nein. Im Gegenteil. Ich habe mich gefreut, das war endlich die Rache der Fotografie. Richter hat ja diese Unschärfe aus der Fotografie geklaut und deshalb ist es nur legitim, wenn ein Fotograf diese Unschärfe wieder in die Fotografie zurückbringt. Merkwürdigerweise, in einem bestimmten Abstand, sind sie gar nicht unscharf. Von weitem sehen sie unscharf aus, wenn man ganz weit weg geht, sehen sie wieder relativ fokussiert aus, und wenn man ganz nah ran geh, sieht man nichts mehr. Ich wollte den Pixel auch zeigen. Die Bilder kommen aus dieser elektronischen Welt, das sollte man schon sehen.

Sie haben in New York ausgestellt, die Presse war sehr begeistert.

Das wundert mich. Ich hätte nicht geglaubt, dass es so viel Begeisterung gibt.

Nun ja, alle schreiben, es wären so schöne Bilder.

Ich hatte gedacht, dass ich Prügel beziehen würde.

INTERVIEW:
BRIGITTE WERNEBURG