Geschwätzigkeitsstrudel im Datenmeer

Neues aus dem Netz: Til Schweiger und Rudolf Thome schreiben Dreh- bzw. Drehbuchtagebücher – exklusiv, kreativ und ganz persönlich

Bestimmt hätte es etwas für sich, sagen wir mal Orson Welles’ Schnittplan für „Othello“ oder auch Fassbinders geheime Arbeitsaufzeichnungen zu lesen. Wenn Produktionsprozesse plötzlich transparent werden und alles noch ganz offen scheint, bevor ein Medium ins andere umschlägt, entsteht die schöne Illusion, beim Werden eines Films irgendwie dabei zu sein. Seit das Live-Schreiben qua Internet zu einer neuen Zivilreligion geworden ist, gibt es auf der vorfilmischen Produktionsebene allerdings plötzlich merkwürdige kleine Geschwätzigkeitsstrudel in Form von Dreh- bzw. Drehbuchtagebüchern. Naturgemäß sagen sie wenig über das Endprodukt, dafür umso mehr über das Selbstbild der Autoren.

Rudolf Thome, der seine neue Drehbuchidee gerade öffentlich im Netz entwickelt (www.moana.de), gibt sich als Anhänger der alten epistolarischen Form. Sein gescanntes Gedankenkonglomerat hat er in einer winzigen, auf dem Bildschirm kaum zu entziffernden Krakelschrift verfasst: „Ich sollte mir einen neuen Füllhalter kaufen“, heißt es da, „aber mit dem hier schreibe ich schon seit 25 Jahren. Ich bin konservativ.“ Gleich auf der ersten Seite verwehrt sich der Regisseur mit einem Literatenzitat gegen den Generalverdacht des Banalen: „Der Schriftsteller, der sich zu schade ist, auch den kleinsten seiner Gedanken aufzuschreiben, ist es nicht wert, ein Schriftsteller zu sein.“

Damit wird das Profane gewissermaßen zum kategorischen Imperativ des Internet, und Thome, der sich eben auch nicht zu schade sein will, schreibt zehn Tage lang jeden klitzekleinen (und letztlich natürlich großen) Gedanken auf, der ihm zu seinem neuen Film „Venus Talking“ so durch den Kopf schießt. Über seine neue Heldin Venus („jede Frau ist eine Göttin“), die Schriftstellerin ist („vielleicht muss sie nackt sein beim Schreiben“), die Besetzung („mit Sicherheit die schwierigste Rolle, die in den nächsten fünf Jahren in Deutschland angeboten wird“), über Kreativitätslücken („heute will mir gar nichts einfallen“) und Kreativitätsschübe („der Film insgesamt müsste sein wie ein Schrei! Grell, aber voller Poesie“).

Alles, alles wird schonungslos offen gelegt, sogar Thomes Lebensphilosophie („Leben ist Musik, Tanzen, Sex – nicht Alltag“) und das Geheimnis des Drehbuchschreibens: „Es ist wie Kochen (...) man muss die alten Sachen aus dem Kühlschrank (Wurst, Schinken, Käse, Gemüse) verbrauchen und daraus etwas Neues machen.“

Til Schweiger ist da diskreter. Die Notizen zu seinem neuen Film „Nach der Zeit“ nennen sich zwar „persönliches Drehtagebuch“ (www.senatorfilm.de), aber aus lauter Angst vor den kleinen Gedanken schreibt „Euer Til“ lieber gleich gar keinen hin. Euphemistisch gesagt, bleibt er in seinen maximal zweisätzigen Eintragungen auf einer sehr sachlichen Ebene. Wer den dritten Drehtag anklickt, liest zum Beispiel: „Wir ziehen um ins Filmstudio; draußen brennt die Sonne und drinnen im Studio ist es unerträglich heiß.“ Einziger Eintrag an Tag 6: „Wir begrüßen Corinna Harfouch am Set.“ Und Tag 7 und 8: „Drehfrei“. Am 10. Tag ist dann geradezu der Teufel los: „Die Szenen im Lebensmittelladen sind abgedreht. Das Team plündert die Eistruhe sponsored by Langnese.“ Viel mehr passt außer dem Starfoto aber auch nicht auf den kleinen Bildschirm des auf der Website abgebildeten elektronischen Notizbuches, für das Schweiger hintenrum noch Reklame macht.

Das Netz als wunderbare Werbefläche für die Vermarktung eines selbst schon Label gewordenen Stars bzw. die geradezu rührend eitlen Kreativismen eines Regisseurs. Dagegen erstrahlt die klassisch ehrliche Promo-Website doch wieder in geradezu radikalem Glanz.

KATJA NICODEMUS