Wider die Blauäugigkeit

Der Dialog zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft ist nicht selten von Naivität geprägt. Von außen lassen sich weder Ideologien noch Strukturen islamistischer Organisationen aufbrechen

von URSULA SPULER-STEGEMANN

Kein Mensch mit klarem Verstand wird daran zweifeln, dass der Dialog mit Muslimen unabdingbar ist und einen Beitrag leisten soll und kann, um zu einem förderlichen Miteinander zu kommen. Die Frage ist jedoch, wer als Vertreter „der“ Muslime gelten kann, wer nicht, und wie man dem breiten Spektrum des Islam gerecht wird.

Derzeit grassiert im so genannten Dialog auf nichtmuslimischer Seite noch viel Blauäugigkeit, ja sogar gezieltes Wegschauen. Angesagt ist derzeit bei vielen Veranstaltern von Dialogrunden das Gespräch mit islamistisch-politischen Organisationen in deren unterschiedlichsten Verkleidungen. Zum weitgehend von Milli Görüs dominierten Islamrat und zur Islamischen Föderation Berlin (IGMG) selbst kommen Politiker aller Couleur und sogar Kirchenrepräsentanten, aber auch einige Wissenschaftler. Sie alle strömen ein, wenn Milli Görüs ruft.

Wie ist das nur möglich? Wir haben es heutzutage mit universitär gebildeten Führungspersonen der diversen islamischen Organisationen zu tun. Sie haben gelernt, die westlichen Bedürfnisse nach Dialog nicht nur zu akzeptieren, sondern diese zu instrumentalisieren; und sie wissen nur allzu gut, was wir hören wollen. Längst haben sie die Schwächen unseres westlichen Systems analysiert. Gelegentlich tut ein prall gefülltes Geldsäckel auch seine Dienste, wenn damit gleichzeitig Muslime unterstützt werden können. Das lässt gar manchen Widersacher verstummen. Milli Görüs ist jedoch nur eine – wenn auch die potenteste – von vielen vergleichbaren islamischen Gruppierungen, deren Mitglieder bereits den Marsch durch die Instanzen angetreten haben.

Auf Anregung der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats sponsert Müsiad-Berlin, eine Außenstelle des mächtigsten türkisch-islamistischen Arbeitgeberverbands, die von ihr herausgegebene „wissenschaftliche Publikation“ über Moscheen und islamisches Leben in Berlin. Hier werden ganz neue, letztlich unübersehbare Abhängigkeiten geschaffen, eine Strategie, die in der Türkei bereits erfolgreich war. Der „Flirt mit den Islamisten“ kann sehr schnell zu einer unheilvollen Umarmung werden. Uns wird jedoch ein Bild von scheinbarer Harmonie und Gemeinsamkeit vorgegaukelt, schlimmer noch: Die frohen Botschaften solcher Dialogrunden erreichen die schweigende Mehrheit der Muslime nicht. Dass die Journalisten Eberhard Seidel und Ahmet Senyurt als „Entlarvungsstrategen“ diffamiert werden – um die Wortwahl von Thomas Hartmann in seinem taz-Beitrag vom 29. Mai zu wiederholen –, ist alles andere als hilfreich. Es kann doch nicht sein, dass der Überbringer der Botschaft der Schuldige ist.

Muslime sollen ihre Religion ausüben können und ihre Rechte wahrnehmen; dazu gehören Moscheebau und schulischer Unterricht, der Kinder in ihrem Glauben unterweist und ihre religiöse Identität festigt. Doch warum wird der Dialog fast ausschließlich mit den Funktionären solcher Organisationen geführt, die eine Minderheitenposition unter den Muslimen vertreten? Insbesondere die neue Generation in den islamistischen Organisationen zeichnet sich durch eine beachtliche Eloquenz aus und kann sehr gut mit den Erwartungen ihrer Gesprächspartner umgehen. Oft stellt sie dabei jedoch mit bemerkenswerter Forschheit Forderungen, z. B. wenn es um das betäubungsfreie Schächten oder um die Mehrehe geht. Es ist kein Wunder, dass man nicht nur in der Milli Gazete, dem Sprachorgan der Milli-Görüs-Bewegung, nachlesen kann, in der Kopftuch-Frage sei man in Deutschland schon sehr viel weitergekommen als in der Türkei.

Gibt es nicht Alternativen zu den erprobten Podiumsteilnehmern à la Milli Görüs, Muslime, die ein wirkliches Miteinander wollen und/oder bereits praktizieren? Müssten nicht die Veranstalter die Ochsentour auf sich nehmen und neue gleichwertige Partner suchen? Lehrer, Universitätsprofessoren, Computerfachleute, Unternehmer wären richtige Ansprechpartner, wobei die Vertreter unterschiedlicher islamischer Glaubensrichtungen (Sufis, Aleviten, Ahmadis) einzubeziehen wären. Vielleicht würde man dann bei ihnen auch die wachsende Resignation wahrnehmen, die sich gerade auch wegen der einseitigen Auswahl der Gesprächspartner lähmend breitmacht. Dann könnte man gemeinsam und verantwortungsvoll die vielen praktischen Probleme anpacken, die beide Seiten betreffen.

Die vielerorts vertretene Annahme, dass sich in der kurzen Zeitspanne der letzten zwei, drei Jahre Verbandsstrukturen und Grundsatzpositionen hin zu einer säkularen Staatsauffassung mit uneingeschränkter Befürwortung der Menschenrechte durchgesetzt haben, ist schlicht naiv. Die Vorstellung mancher Politiker und Dialogexperten, man könne die Strukturen und die Ideologie einer Organisation wie der IGMG – noch dazu als Nichtmuslim – von außen her beeinflussen oder gar aufbrechen, ist eine Illusion, die auch auf Selbstüberschätzung beruht.

Wer beurteilen will, ob sich die IGMB verändert hat, muss die Publikationen studieren und sich über die Schriften und Autoren auf dem Laufenden halten. Das setzt allerdings Sprachkenntnisse voraus, und diese sind den meisten Dialogexperten nicht gegeben, was im Übrigen insbesondere die Islamisten monieren. Ob sich in diesem Klima des Halbwissens ein beiderseitiger Wertekanon aufbauen lässt, darf bezweifelt werden.

Zweifellos sind alle am Dialog Beteiligten daran interessiert, dass endlich Bewegung in die erstarrten Fronten kommt. Entscheidend ist aber, welche Richtung sie nimmt. Wie minimal der kleinste gemeinsame Nenner noch ist, zeigt sich konkret am Konflikt um den islamischen Religionsunterricht und die Islamische Förderation Berlin (IGMG). Denn Milli Görüs bekennt sich zwar nach außen hin zu Deutschland, erzieht aber ihre Jugend – auch bei ihren voll und ganz auf das Herkunftsland ausgerichteten Großveranstaltungen – zu islamistischen Türken. So fördert sie eine ethnische Ghettoisierung, die eine Integration in unsere Gesellschaft behindert.

Der Dialog sollte keine Einbahnstraße sein. Er sollte sich nicht lediglich um die Belange der Muslime drehen, sondern gleichermaßen das Gemeinwohl im Auge haben. Ein gedeihliches Zusammenleben gelingt am ehesten durch das Angehen gemeinsamer Ziele und Aktivitäten, sei es in der Kinderbetreuung oder der Vermittlung von Ausbildungs- oder Arbeitsplätzen für Jugendliche. Die besondere Schwierigkeit der Kontaktaufnahme zur überwiegenden Mehrheit der kaum oder gar nicht organisierten Muslime könnte durch solche gemeinsamen Aktivitäten überwunden werden. Dann fiele es sicherlich trotz der immer noch bestehenden Berührungsängste auf beiden Seiten nicht schwer, eine Partnerschaft im Sinne eines eigenständigen Miteinanders aufzubauen, mit Geduld und viel Verständnis für den anderen.

Hinweise:Der Flirt mit den Islamisten kann sehr schnell zu einer unheilvollen Umarmung werdenOft stellen islamistische Funktionäre ihre Forderungen bemerkenswert forsch