Joschka Fischer, der vorzügliche Redner

Der Außenminister versteht es, sein Publikum zu überlisten: Begeisterung weckt er nicht

von BETTINA GAUS

Joschka Fischer ist ein hervorragender Rhetoriker. Das unterscheidet ihn von seinem Vorgänger. Glanzlos und redlich hatte sich Klaus Kinkel durch die Welt geschwäbelt, wirkte beruhigend verlässlich und langweilig bieder zugleich. Wenn Kinkel im Bundestag den Weltuntergang angekündigt hätte – wäre es dem schläfrigen Publikum aufgefallen? Joschka Fischer braucht nicht zu befürchten, dass ihm niemand zuhört. Seine Reden machen Schlagzeilen, und nicht nur deshalb, weil die Welt allemal interessiert zur Kenntnis nimmt, was der deutsche Außenminister zu sagen hat. Es kommt auch auf das Wie an.

Das Amt erfordert eine neue Sprache

Fischer beherrscht die Klaviatur der Rhetorik virtuos in ihrer ganzen Breite. Seit seinem Amtsantritt als Außenminister hat er den beißenden Witz des Oppositionspolitikers durch staatstragendes Pathos ersetzt. „Das Amt erfordert eine neue Sprache“, begründet er nur Stunden nach seiner Vereidigung die ungewohnt gestelzte Wortwahl auf seiner ersten Auslandsreise gegenüber Journalisten. „Diese Sprache erfordert ein neues Amt“, murmelt einer der Anwesenden zurück. Als gelehriger Musterschüler präsentiert sich Fischer der Welt – und seinen einstigen Gegnern zu Hause, von denen ihn viele heute gerne loben.

„Seine größte Angst ist es, als Kuriosität in die Geschichte einzugehen“, hat einer über Fischer gesagt, der ihn gut kennt. „Als der ehemalige Sponti, der ein paar Monate lang Außenminister gewesen ist.“ Das Zitat stammt aus der Anfangszeit der rot-grünen Bundesregierung: als ein Bruch der Koalition aus inhaltlichen Gründen noch jederzeit möglich zu sein schien und die Frage, ob Gerhard Schröder den Beruf des Bundeskanzlers je erlernen werde, auch in dessen eigenen Reihen immer lauter gestellt wurde. Jetzt ist Fischer lange genug Außenminister gewesen, um nicht mehr fürchten zu müssen, lediglich als bizarre Fußnote in der Chronik des Auswärtigen Amtes zu stehen.

Januar 1999: Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Fischer spricht vom Fernziel einer europäischen Verfassung. September 1999: Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York. Fischer schlägt vor, dass Mitglieder des Weltsicherheitsrates ein Veto künftig vor der Generalversammlung begründen sollen. Mai 2000: Fischer äußert sich als „Privatmann“ vor Studenten der Berliner Humboldt-Universität und entwirft die Vision einer europäischen Föderation.

Wofür steht Fischer?

Nach Visionen wird derzeit gefahndet im grau gewordenen politischen Alltag. Joschka Fischer scheint sie zu haben. Warum reißen sie niemanden mit? Noch immer ist der Außenminister einer der populärsten Politiker der Republik. Aber wofür steht er? Die öffentliche Zuneigung gilt der schillernden Persönlichkeit, nicht seinem eigentümlich blass gewordenen politischen Profil.

Unfassbar sei es, dass die Grünen die bedeutenden Reden und Denkanstöße des Außenministers aus ihren eigenen Reihen niemals für sich zu nutzen verstünden, klagen Spitzenpolitiker der Partei gelegentlich. Aber liegt das wirklich am Unvermögen einer unprofessionell agierenden Parteiführung? Oder an Fischer selbst? Es wirbt sich nicht so leicht mit jemandem, der es für ein Ergebnis strategischer Klugheit hält, wenn die Zweifel an seiner intellektuellen Redlichkeit wachsen.

An der Redlichkeit seines Vorgängers Klaus Kinkel gab es nie Zweifel. An dessen politischem Geschick – durchaus. Aber nicht an der grundsätzlichen Linie seiner Überzeugungen. Gegen eine Nato-Intervention im Kosovo, die nicht von der UNO mandatiert war, wehrte er sich länger als viele ehemals Friedensbewegte. Sein Nachfolger erklärte die Angriffe auf Jugoslawien zu einem Kampf für die Menschenrechte und sagte später vor den Vereinten Nationen, kein Staat der Welt dürfe sich auf seine Souveränität berufen, wenn diese auf dem Spiel stünden.

„Wo die Grundsätze des Völkerrechts wenig, das Menschenrecht hingegen alles bedeuten soll, ist vieles möglich und nichts mehr ausgeschlossen“, schrieb dazu der konservative Publizist Konrad Adam in der FAZ. Er warnte vor einem Rückfall in den „Vorkonstitutionalismus“, in eine Zeit, „in der sich die Politiker ihre Ermächtigung nicht von unten besorgten, sondern von oben“. Joschka Fischer hätte ihm da als Oppositionspolitiker wohl kaum widersprochen. Welche seiner Äußerungen im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg entspricht tatsächlich seiner Überzeugung? Mit welchen Sätzen wollte er lediglich Widerstrebende in den eigenen Reihen auf eine Linie einschwören, die er für unvermeidlich hielt? Zwischen seinen Anhängern und seinen Gegnern dauert der Streit darüber an.

Beglückung der Basis

Die Frage, warum Joschka Fischer etwas sagt, ist häufig fast interessanter als die Frage, was er eigentlich gesagt hat. „In der Außenpolitik kann ich keinen großen Veränderungsbedarf erkennen“, betont er kurz nach Antritt seines neuen Postens, den in Deutschland 29 Jahre lang die FDP besetzt hatte. Vertrauen bei Bündnispartnern und im Auswärtigen Amt habe er mit derlei Äußerungen erwerben wollen, so wurde seinerzeit gemutmaßt: wohlwollend von Gegnern der Grünen, verständnisvoll von seinen Parteifreunden. Wenig später fordert der Außenminister den Verzicht auf die Nato-Option des atomaren Erstschlags – wohl vor allem, um die Basis der eigenen Partei glücklich zu machen, hieß es damals in Leitartikeln. Fischer widerspricht nicht.

Menschenrechte als Leitmotiv?

Die SPD vermutet dasselbe Motiv hinter dem Widerstand des Außenministers gegen die Lieferung eines Test-Panzers an den Nato-Partner Türkei. Der Rüstungsexport passe nicht in die „politische Landschaft“, erklärt Fischer. Nimmt man ihn mit seinen Grundsatzerklärungen ernst, dann ist das allerdings wahr: Wer die Zustimmung zu dem völkerrechtlich mindestens umstrittenen Krieg der Nato gegen Jugoslawien menschenrechtspolitisch begründet, kann schwerlich ausgerechnet Ankara mit Waffen versorgen. Immerhin hatte Deutschland selbst in der Ära Kohl die Lieferung von Rüstungsgütern an die Türkei mehrfach vorübergehend eingestellt, weil der Verdacht bestand, dass sie gegen Angehörige der kurdischen Arbeiterpartei PKK eingesetzt wurden.

Zur Leitfrage deutscher Außenpolitik wollte Joschka Fischer die Menschenrechte machen. Als sichtbares Zeichen des hohen Stellenwerts, den er dem Thema beimisst, hat er sogar das neue Amt des Menschenrechtsbeauftragten geschaffen und mit Parteifreund Gerd Poppe besetzt. Der wirkt, sofern überhaupt, seit der medienwirksamen Inthronisation eher im Verborgenen. Lange hat die breite Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit das gute Image von Fischer nicht beschädigt. In jüngster Zeit aber mehren sich die Klagen, dass den großen Worten nur allzu selten Taten folgten.

Nicht einmal eine Resolution!

An Beispielen fehlt es nicht. Für Afrika, wo Menschenrechte besonders häufig verletzt werden, hat Fischer sich nie interessiert. Der für die Grünen schwierige Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein ist für ihn zu Beginn des Jahres Grund genug, die lange geplante erste Reise dorthin zu verschieben. Über die Verhältnisse in China äußert sich der deutsche Außenminister 1999 vor der Genfer Menschenrechtskommission kritisch. In der Zeit heißt es dazu lakonisch, er habe „auch in Genf keine neue Note setzen können. Im Gegenteil: Er blieb noch hinter jener Politik zurück, die er jahrelang verspottet hatte.“ Nicht einmal eine Resolution kommt zustande.

Das russische Ultimatum zur Räumung der tschetschenischen Hauptstadt Grosny nennt Fischer im Dezember letzten Jahres einen nicht hinnehmbaren „Akt der Barbarei“. Dann nimmt er es hin. Klaus Kinkel, der sich mit Kritik am Nachfolger lange vornehm zurückgehalten hat, wirft ihm später vor, wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland wegen des Tschetschenien-Krieges zu keiner Zeit auch nur erwogen zu haben: „Wenn man Fischer an seinen eigenen Maßstäben misst, muss man ihm jetzt eine Außenpolitik auf Samtpfoten in den Bereichen vorwerfen, in denen eine deutlichere Sprache in Sachen Menschenrechte angebracht wäre.“

Klaus Kinkel hatte als Außenminister einen schwereren Stand als Joschka Fischer. Sein Bundeskanzler war Helmut Kohl, und der machte die Außenpolitik zur Chefsache. Zwar scheint allmählich auch Gerhard Schröder an der von ihm lange ungeliebten internationalen Bühne Gefallen zu finden, wie gerade erst der Regierungsgipfel in Berlin bewiesen hat. Insgesamt aber lässt er seinem Außenminister nach wie vor eine erheblich längere Leine als sein Vorgänger. Nutzt der sie auch?

Über heikle Fragen hinweggeglitten

Fischers Stabilitätspakt für den Balkan wurde viel gelobt. Haben sich die darin gesetzten Erwartungen bisher erfüllt? Der Außenminister spricht gerne und häufig über die Notwendigkeit der Krisenprävention. Was tut er dafür konkret? Zur rhetorischen Begabung von Joschka Fischer gehört auch, dass er es wie kaum ein anderer versteht, über heikle Fragen hinwegzugleiten. Er weiß, was er seinem Publikum zumuten kann – und er mutet es ihm zu: Auf dem letzten Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen beklatschten die Delegierten begeistert eine Rede des Ministers, die hinsichtlich heikler Exportgeschäfte der Regierung in erstaunlichem Gegensatz zu all dem stand, was bisher über das Thema öffentlich bekannt geworden ist.

Derlei Erfahrungen mögen intellektuelle Allmachtsgefühle beflügeln. Aber wer sich daran gewöhnt hat, sein Publikum überlisten zu wollen und zu können, der tut sich eben schwer damit, Begeisterung für jene Ideen zu wecken, die ihm wirklich am Herzen liegen. In seiner Partei ist Joschka Fischer nach wie vor die unumstrittene graue Eminenz. Aber für die europäische Integration, sein wohl einziges wirkliches Thema, vermag er selbst die treuesten Gefolgsleute nur mühsam zu interessieren. Vielleicht ist er dafür eben ein allzu geschickter Redner.