„Wenn die Weiber so verrückt sind“

■ Die vermutlich älteste HSV-Anhängerin über die Nationalelf und die Entwicklung ihres Klubs

Hilde Brandt* wohnt in Eppen-dorf. Diesen Herbst wird die Hamburgerin 97 Jahre alt. Sie sitzt nach einem Beinbruch dauerhaft im Rollstuhl und wird von Angehörigen und einem ambulanten Pflegedienst betreut. Sie sieht kaum noch, kann ohne Hilfe ihre Wohnung im fünften Stock nicht verlassen. Bei Kaffee und Butterkuchen plauderte sie über ihr Lieblingsthema Fußball, über Politiker und die Chancen der deutschen Nationalelf bei der morgen beginnenden Europameisterschaft.

taz: Frau Brandt, sie können nicht mehr lesen und auch nicht ohne Hilfe ihre Wohnung im 5. Stock verlassen. Haben Sie trotzdem noch Interesse an den Dingen, die in der Welt passieren?

Hilde Brandt: Sehr, und die werden mir vermittelt durch's Fernsehen. Ja, und wenn mal jemand kommt und klönt mit mir, das kann ja auch mal passieren.

Und was schalten sie so an im Fernsehen?

Was mich interessiert, das sind erstens immer die Tagesnachrichten und dann Tierfilme, die ich sehr gerne habe, und dann wenn so besondere Beiträge gebracht werden über Wissenschaftler, wenn die im Ausland was neu erforscht haben, das verfolg' ich. Jetzt im Augenblick ist ja diese Börsengeschichte ganz aktuell. Ich hab' gerade dem Freund meiner Enkeltochter geraten, er soll auch mal'n bißchen pfiffig sein.

Und Aktien kaufen, meinen sie?

Ja, der hat nämlich nur'n Sparbuch. Ich hab' ihm geraten, er soll mal in Aktien anlegen, denn das Sparbuch bringt ja nicht viel, nich. Sie interessieren sich aber auch für Sport?

Sehr! Für Fußball. Ich bin sehr für Fußball. Seh' ich mir immer an, wenn's gebracht wird.

Haben sie eine Lieblingsmannschaft?

Natürlich Hamburg. Der HSV.

Und was sagen Sie zum Abschneiden des HSV in der letzten Bundesligasaison?

Na, ich bin mir nicht ganz sicher, aber sie haben sich sehr herausgemacht, das muss ich sagen. Vor allem der Trainer Pagelsdorf und der Torwächter, wie heißt der noch gleich,...

Butt.

Butt, ja. Der heißt ja wie der Fisch (lacht). Also die beiden haben den größten Verdienst darum, dass die so gut geworden sind.

Haben sie früher schon Fußball und den HSV gemocht?

Sehr, da sind sind wir immer hingegangen! Immer. Meine Schwes-ter und ich, die lebte damals ja noch. Da war ja noch am Rothenbaum der Platz vom HSV. Einmal haben wir jedenfalls auch mal wieder geguckt und da war der Spundflasche noch dabei. Das werd' ich nie vergessen. Der hat von der Seite aus ein Tor geschossen. Von der Seite aus! Nicht, dass da noch ein anderer dazwischen war, sondern er hat das selbst von der Seite aus geschossen. Das war 'ne tolle Leistung!

Würden sie heute noch manchmal gern zu einem Spiel ins Stadion gehen?

Nein, wegen der vielen Leute, der großen Menge, geht das nicht mehr mit mir. Ich komm' da nicht mehr zurecht.

Und wenn sie oben in der Loge einen Platz hätten?

Ja, vielleicht ja. Das will ich gar nicht mal ausschließen.

Was sagen sie zur aktuellen deutschen Nationalmannschaft und zum Bundestrainer?

Tja, da sind noch sehr schwierige Aufgaben zu bewältigen, sag' ich ihnen. Der neue Bundestrainer ist ja nicht schlecht. Das ist ja ein alter, erfahrener Fußballer, nich. Aber die Spieler so richtig ran zu kriegen und zu interessieren, das scheint nicht so ganz zu gelingen.

Haben die Chancen bei der EM dieses Jahr?

Ich glaube nicht! (entschieden). Weil die alle so'n bisschen... Na, sie sehen es ja an den Bayern. Wenn man die sieht auf'm Platz, sind sie lahme Enten zum Teil! Und genauso verhält sich das auch mit der Nationalmannschaft. Leider muss man das sagen.

Mögen sie Bayern München?

Ja, die Bayern-Bosse persönlich nicht, die sind so'n bisschen oben heraus, nich. Aber im allgemeinen kann man schon sagen, dass die immer ganz tüchtig gewesen sind. Sie haben ja auch schon sehr oft die Meisterschaft geholt.

Viele sagen, die Spieler verdienen zuviel, zeigen aber keine Leis-tung.

Ja, da bin ich auch der Meinung, absolut. Das ist nicht nötig soviel Geld. Guck dir doch mal den Michael Schuhmacher an. Bei dem geht es doch gleich um Millionen, wenn er was gewint. Also das ist doch Wahnsinn.

Haben die Spieler früher besser gespielt?

Auf jeden Fall! Das glaub' ich ganz bestimmt. Die haben doch viel mehr rangeklotzt. Heute kriegen sie ja ihre dicken Gehälter. Was sollen sie sich da noch groß abplagen. Ich find' überhaupt, unsere Frauen sind da viel tüchtiger im Fußball!

Meinen Sie jetzt Frauenfußball?

Ja, sicher. Die nehmen den Fußball doch noch ernst. Mehr als die Männer. Absolut. Ich verfolge auch die Spiele der Frauen im Fernsehen und finde, sie sind wirklich tüchtig und geben sich da ganz engagiert.

Sind denn früher viele Frauen zum Gucken auf den Fußballplatz gegangen?

Wenig, ganz wenige. Früher nicht, aber heute ja.

Aber sie und ihre Schwester schon?

Ja, meine Schwester und ich immer, die Kati, die gestorben ist.

Und was haben die Männer dazu gesagt?

Gar nix. Die haben gar nix gesagt. Das war denen egal. Wenn die Weiber so verrückt sind, haben sie sicher gedacht, dann lass' sie doch.

Verlassen wir mal den Fußball, Frau Brandt und sagen sie mir mal, über welche Tagesnachrichten sie sich in letzter Zeit so richtig aufgeregt haben?

Ich will ihnen mal was sagen: Ich rege mich gar nicht mehr soo sehr auf. Ich hab' mich auch früher nie aufgeregt.

Und wenn sie an die Politiker in Deutschland derzeit denken?

Aha, in der Politik... Oh Mensch, wenn Sie damit anfangen! Die Politik, das ist eine ganz große Katastrophe, generell. Die machen lauter halbe Sachen. Und das Schlimmste ist ja, was der Kohl gemacht hat. Das ist eine Katastrophe, was der der Partei angetan hat, wirklich wahr. Das hat mich denn doch so'n bisschen aufgeregt, das muss ich schon sagen.

Helmut Kohl sieht sich ja auch gerne Fußballspiele an. Würden sie gerne mal neben ihm in der Ehrentribüne sitzen?

Nein, der interessiert mich überhaupt nicht mehr. Ich finde, der ist vollkommen abgetakelt. Der ist doch unredlich gewesen. Das dürfte man ja nicht machen, wenn man solch eine Position hat. Denn die ganzen Mitglieder haben sich ja darauf verlassen, dass bei ihm alles Okay ist. Dabei hat er das Gegenteil gemacht. Die sind nicht mehr sauber, das gibt' s nicht mehr. Tja, was soll man mehr dazu sagen. Das ist ganz traurig eigentlich.

Wollen wir mal das traurige Thema verlassen. Was würden sie mit einer Million anfangen, die sie im Lotto gewännen. Spielen sie überhaupt Lotto?

Ich spiele manchmal. Nur kann ich die Kreuze nicht selber machen, da muss man mir helfen. Eine Million, das wär was! Ja, dann würde ich vor allem auch Verwandten, die es nötig hätten, was davon geben. Vielleicht würd' ich versuchen zu reisen, soweit ich das mit meinem Zustand machen kann. Gern' in die Sonne. An's Meer würd' ich gerne reisen, an's Mittelmeer. (Pause) Aber ich kann ja nicht mehr viel in meinen drei Jahren, die ich noch nach habe, damit anfangen, mit soviel Geld.

Wieso nur noch drei Jahre?

Bis Hundert!

Und dann?

Dann ist aus! (schmunzelt) Dann mach' ich die Augen zu und geh' schlafen. Mit Hundert.

Interview: Darren Klingbeil

* Name geändert