„War ich das etwa?“

Das Fernsehmuseum ruft Serienbeiträge zum Thema Amnesie in Erinnerung  ■ Von Marit Hofmann

Wenn Bine, Uli, Hermann und Harald sich über ihre Kindheit in den 70ern unterhalten, hört sich das so an: „Hey, habt ihr schon Bolek und Lolek gesehen? Die hab ich als Kind nieee ausgelassen.“ – „Die Zwei mit Roger Moore und Tony Curtis! Für die Sprüche hab ich sie geliebt!!!!!“ – „Hatten wir eigentlich schon den Jason King?“ – „Der war Mr. Seventies schlechthin!“ Dem Retrokult wird zur Zeit nicht nur an so manchem Kneipentisch gefrönt, der Rowohlt-Verlag hat ihn bereits für die Nachwelt in Buchform festgehalten: Die Zitate stammen aus Wickie, Slime und Paiper, einem Online-Erinne-rungsalbum für die Kinder der siebziger Jahre.

Dass sich unsere Fernsehsozialisation durchaus auch aussagekräftiger analysieren lässt, beweisen die Hamburger TV-Archivare RE-Products, die jeden ersten Dienstag im Monat im Filmhaus das „Fernsehmuseum“ präsentieren. In einer Sondersitzung während der Sommerpause des Filmhauses beziehen sich die RE-Producer nun in doppelter Hinsicht auf das Thema Erinnerung. Am besten macht man sich zu diesem Termin einen Knoten ins Taschentuch, denn hier geht es weniger um Nostalgie als um den Schock, der sich einstellt, wenn plötzlich jede Erinnerung ausbleibt. Unter dem Titel Die Nacht des Vergessens sind Serienepisoden aus vergangenen Jahrzehnten (u.a. Kobra, übernehmen Sie, FBI, Die Leute von der Shiloh Ranch) zu sehen, in denen das Motiv der Amnesie eine tragende Rolle spielt. Denn nicht nur Philip Marlowe musste sich nach jeder neuen Ohnmacht infolge von gezielten Schlägen auf den Hinterkopf oder toxischen Beigaben im Drink immer wieder fragen: „Wer bin ich?“, „Wo bin ich?“ und: „Der tote Mann da neben mir – habe ich den etwa umgebracht?“

Amnesie im Fernsehen – das ist zu allererst ein Kniff der Autoren, um die Handlung in Gang zu bringen: Die gedächtnislosen Protagonisten geraten in existentielle Konflikte und haben genau eine Episodenlänge Zeit, ihre Identität wiederzufinden. Bei der Durchforstung seines Archivs hat Stefan Eckel von RE-Products einige weiterreichende Entdeckungen gemacht.

In US-Serien, zum Beispiel Mannix, steht die Moral im Vordergrund – und der Zuschauer muss sich mit dem Helden fragen: Ist er nun ein mieses Schwein oder (wie sich am Ende zur allgemeinen Erleichterung herausstellen wird) doch ein unschuldiges Opfer böser Machenschaften? In britischen Serien aus den 60er/70er Jahren wie Jason King verweist das Motiv eher auf die Entdeckung des LSD: Gedächtnisverlust als surreales Spiel mit gestörter Realitätswahrnehmung. Wieder anders einzuordnen ist ein Fall von Gruppen-Amnesie aus Star Trek, bei dem die ganze Raumschiffbesatzung, komplett ferngesteuert, zum Werkzeug fremder Mächte wird. Ob diese kollektiven Verdrängungsmechanismen eine Folge von Traumata aus Faschismus oder Vietnamkrieg sind, bleibt, so verlangt es die Satzung des Fernsehmuseums, wie immer dem Publikum überlassen.

Während in einer Episode der – von vielen erfolgreich verdrängten – Vorabendserie Hart aber herzlich die schnell vorübergehende Amnesie sogar die ohnehin aufregende Ehe der Harts belebt, ist ein Gedächtnisverlust jenseits der Welt der Soaps alles andere als harmlos. Als harten Kontrast zum belustigenden Serientrash stellt die Hamburger Kurzfilmagentur Marion Kainz' Dokumentation über eine Alzheimer-Patientin vor. In Der Tag, der in der Handtasche verschwand grübelt die verzweifelte Pflegeheiminsassin ununterbrochen, wo sie ist und warum ihr „keiner etwas gesagt“ hat. Von ihrer Bettnachbarin verlangt die alte Dame, sie solle „doch ins Heim gehen“. Und bis zu ihrem Tod wird sie immer wieder vergeblich beschließen: „Ich geh jetzt nach Hause.“ Wer Marion Kainz' be-drückende Bilder vom Heimalltag sieht, kann über diesen Irrtum nicht lachen.

heute, 9.6., 21.15 Uhr, Metropolis