Nach dem Masterplan

Auf den Schultern der Giganten stehen und sehnsüchtig nach den Rock-’n’-Roll- Sternen greifen: Nach Bruder Noels Ausstieg gestatteten sich Liam Gallaghers’ Oasis in der Arena einen Blick in die Zukunft

von GERRIT BARTELS

Manchmal genügen bei Popkonzerten schon die wenigen Eindrücke vor der Halle des betreffenden Konzerts, um zu ermessen, welchen Stellenwert die jeweilige Band bei Fans und Gelegenheitshörern gerade besitzt. Im Fall der britischen Band Oasis: keinen hohen. Es sind nicht viele Leute, die auf der Eichenstraße und vor der Arena herumstehen, Karten für das Konzert werden für 40 Mark angeboten (an der Abendkasse kosten sie 55 Mark), und am Einlass geht alles zügig vonstatten.

Die Gründe liegen natürlich auf der Hand: Oasis ohne Noel Gallagher, dem einen Bruder, dem Songwriter, Gitarristen und eigentlichen Vorturner der Band, sind halt nicht wirklich Oasis, vielleicht nicht mal fünfzig Prozent. Noel stieg irgendwo zwischen Portugal und Frankreich aus der laufenden Europa-Tour aus, weil er sich mal wieder mit seinem Bruder Liam in die Haare bekommen hatte. Der aber gab sich fortan als Profi und Musiker, der nichts anderes will als spielen, spielen, spielen, und so wurde flugs ein Ersatz beschafft: Matt Deighton, sonst Gitarrist bei Paul Weller (interessant wäre es natürlich zu erfahren, was die wahren Beweggründe für den Fortgang der Oasis-Tour waren: Druck der Plattenfirma und Veranstalter? Das Abwenden von Schadensersatzforderungen? Finanzielle Verluste in was für Millionenhöhen?). Ein eher schlechter Witz, gar eine sich selbst erfüllende Prophezeiung ist es daher, dass die B-Mannschaft von Oasis sich ausgerechnet Jonny Marr und seine Band als Support ausgesucht hat. Marr war vor langen Jahren der Gitarrist der Smiths, und als Marr und Morissey sich nicht mehr grün waren und ihre Band auflösten, gelangen beiden nie mehr so schöne Alben wie zu Smiths’-Zeiten. Und der Auftritt der so genannten Jonny Marr Band in der vielleicht halb vollen Arena gibt zu keinen Hoffnungen auf bessere Zeiten Anlass.

Es ist nett, was die Jonny Marr Band spielt, doch nichts, was die Stone Roses, Kula Shaker und sogar die ganz frühen The Verve nicht schon viel, viel besser gemacht hätten. Nun mag das Zusammenspiel des Brüderpaars Gallagher nicht mit dem von Morissey und Marr vergleichbar sein, und da mag Noel auch ohne Liam Oasis-Songs schreiben und Liam wiederum diese ohne Noel vortragen können – der Lack bei Oasis ist trotzdem bis auf die Grundierung ab. Da nützt es nichts, dass sich Liam in seinem Jeansanzug und dem lang aus der Hose hängendem Blümchenhemd doch einige Mühe gibt.

Er reitet auf seinem Mikrofonständer, spielt mit dem Tambourine herum und überzeugt einmal mehr durch seine typische, unnachahmliche Gesangshaltung: Hände auf dem Rücken, Bauch eingezogen, die Schultern verkrampft nach vorn und oben geschoben, bebrillter Blick in die Höhe, dort, wo die Sterne sind. Seine vier Mitstreiter aber sehen so aus, als würden sie jeden englischen Pub ohne Probleme unerkannt betreten können. Sie wirken auf der Bühne wie unbewegliche Marionetten, Leihmusiker eben, was sie zum Teil ja auch sind, die nicht viel mehr tun, als stumpf ihren Part herunterzuspielen. Und lediglich stumpfer, lauter Rock ’n’ Roll ist dann auch das Einzige, was von diesen Oasis noch rüberkommt in der Arena.

Selbst dem unverbesserlichsten Rockisten waren die meisten Songs von den beiden letzten Alben ja sowieso eine ziemliche Qual. Doch wenn viele Songs und natürlich der ansonsten obligate Noel-Akustik-Set ohne Noel nicht mehr drin sind, dann geht gar nichts mehr so richtig.

Dann bleiben von den Stücken, die seinerzeit so manche Unbill im Leben erträglicher machten, gerade mal noch ein paar Ahnungen und Melodiefetzen: „Supersonic“, „Live forever“ und „Wonderwall“, aber auch „Shakermaker“ oder „Roll With It“ (und was gab es allein auf dem B-Seiten Album „The Masterplan an grandiosen Songs: „Acquiesce“, „Going Nowhere“ oder „Talk Tonight“!).

Da kann man dann wirklich nicht mal mehr sentimental werden – das geht erst wieder zu Hause, beim Hören der alten Alben. Als Liam Gallaghers’ Oasis nach dem gerade mal eine Stunde dauernden Gig als Zugabe noch „Rock ’n’ Roll Star“ spielen, klingt dieser Song schon wie ein Vorgriff auf eine Zukunft, die nur noch von der Vergangenheit lebt.