Patentstreit um Bluttests

Der Schweizer Pharmakonzern Hoffmann-La Roche droht damit, einen der meist genutzten HIV-Tests vom Markt zu nehmen. Der Grund ist ein verlorener Patentstreit vor dem Düsseldorfer Landgericht um die Verwertungsrechte des HIV-Genoms

von WOLFGANG LÖHR

Vor Gericht ausgetragene Streitigkeiten über die Verwertungsrechte von genetischen Informationen gehören mittlerweile fast zum Alltag. Jetzt traf es einen der ganz Großen unter den Pharmakonzernen. Vor dem Landgericht Düsseldorf verlor der Schweizer Multi Hoffmann-La Roche in erster Instanz einen Prozess um die Nutzungsrechte des HIV-Genoms. Nach Ansicht der Düsseldorfer Richter verletzt Hoffmann-La Roche mit seinem Aids-Test „Amplicor HIV“ die Patentrechte des US-amerikanischen Biotechnologie-Unternehmens Chiron. Damit droht einer der meist genutzten Aids-Tests vom deutschen Markt zu verschwinden.

Roches Testsystem „Amplicor HIV“ gilt als besonders empfindlich. Im Unterschied zu den immunologischen Test, die eine Infektion nur indirekt über den Nachweis von Antikörper für den HI-Virus feststellen, kann mit dem Amplicor-Test direkt ein Bestandteil des Virus aufgespürt werden, eine spezifische Region der aus RNA bestehenden Erbsubstanz. Der Test springt schon an bei einer Virusbelastung von lediglich 50 Kopien pro Milliliter Blutplasma. Von Vorteil ist auch, dass der Test ohne Zeitverzögerung funktioniert. Der Virusnachweis ist schon dann möglich, wenn noch keine Antikörper gebildet worden sind. Als besonders hilfreich hat sich dieser Test bei klinischen Studien gezeigt. Mit ihm kann ziemlich exakt die Virusbelastung und so die Wirksamkeit antiviraler Medikamente festgestellt werden.

Aber auch zur Überprüfung von Blutspenden wird der Test häufig eingesetzt. Rund 50.000-mal im Jahr werde der Test allein an der Universitätsklinik Düsseldorf eingesetzt, berichtet der Leiter der Blutbank, Rüdiger Scharf. „Wir garantieren den Empfängern damit Sicherheit gegen alle Restrisiken. Wenn der Test vom Markt genommen wird, haben wir ein Problem.“ Zwar gebe es ein Alternativprodukt, aber die Umstellung sei mit hohen Kosten verbunden. Die Lücke füllen könnte zum Beispiel die Bayer AG, die vor etwa einem Jahr nicht nur das Diagnostikgeschäft von Chiron übernommen, sondern auch Lizenzrechte für den HIV-Test eingeräumt bekommen hat. Das Patent selbst verblieb jedoch bei dem US-Unternehmen.

Der Streit um das europäische Patent mit der Nummer 0181150, mit dem Chiron die Verwertungsrechte für mehre Gensequenzen der Aidsvirus-Variante HIV-1 beanspruchte, schwelte schon seit langem. Mehrere Pharmafirmen, unter anderem auch Roche, hatten bereits gegen das 1985 von Chiron beim Europäischen Patentamt (EPA) eingereichte Patent Einsprüche erhoben. Zwei Verhandlungen haben vor dem EPA auch schon stattgefunden. Doch noch ist eine letztendliche Entscheidung nicht gefallen. Eine Anhörung, vermutlich die letzte, steht noch aus. Streitpunkt sei der Umfang des Patents, sagt Marcel Gmünder, Sprecher von „Roche diagnostics“ in Mannheim. „Wir sind der Meinung, dass die Gensequenz, die wir für unseren HIV-Test nutzen, nicht von dem Patent geschützt werden kann.“ Die Patentansprüche seien viel zu umfassend. „Zum Teil haben wir vom EPA, zumindest mündlich, auch Recht bekommen“, sagt der Roche-Sprecher, „doch uns gehen diese Einschränkungen des Patentes nicht weit genug.“

„Unverständlich“ ist für Roche, dass das Düsseldorfer Landgericht nicht auf die Entscheidung beim EPA gewartet habe. Roche, so kündet Gmünder an, werde gegen das Düsseldorfer Urteil in Berufung gehen. Er hat aber auch die Hoffnung nicht aufgegeben, dass das Münchner EPA ihre Einsprüche berücksichtigt. Im Fall einer endgültigen Niederlage jedoch soll der Aids-Test zurückgezogen werden. Betroffen sei davon nur Deutschland, denn nur hier ist das Düsseldorfer Urteil vollstreckbar. Will Chiron seine Ansprüche auch in anderen Staaten durchsetzen, muss in jedem Land eine eigene Klage eingereicht werden.

Möglich wäre aber auch noch eine außergerichtliche Einigung. Das ist eine Frage des Geldes. Chiron verlangt von Roche für die Nutzung der geschützten Gensequenzen Lizenzgebühren. In einer Höhe jedoch, die von Roche nicht akzeptiert werde, so Gmünder. Konkrete Zahlen wollte er nicht nennen.

Bei den Blutspendediensten gibt es noch viel weitergehende Befürchtungen. „Das ist doch nur ein Vorspiel “, meint nicht nur Friedrich-Ernst Düppe, Sprecher des Blutspendedienstes des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Nordrhein-Westfalen. Bei HIV bestünde immerhin noch die Möglichkeit auf einen anderen Test zu wechseln oder ganz auf ihn zu verzichten. In einer groß angelegten Studie des Blutspendedienstes, bei der 1,9 Millionen Blutspenden ausgewertet wurden, konnte durch den direkten HIV-Test „kein Zugewinn“ festgestellt werden. Die infizierten Spenden konnten alle mit dem herkömmlichen, vorgeschriebenen Antikörpertest entdeckt werden. In NRW werde deshalb dieser Test beim Blutspendedienst nicht angewandt.

Ganz anders hingegen sei die Situation bei der Suche nach Blutspenden, die mit dem Hepatitis C-Virus (HCV) infiziert seien. „Hier kommt keiner“, so Düppe, „an Chiron vorbei.“ Denn das Biotechnologie-Unternehmen besitzt zahlreiche Patente für diesen Virus. Nach Chirons eigenen Angaben, würden diese Patente sowohl Screening-Methoden als auch Diagnosetests sowie die Entwicklung von Impfstoffen und Therapeutika abdecken.

Hepatitis C, früher als Hepatitis Non-A/Non-B bezeichnet, ist erst seit Mitte der 70er-Jahre bekannt. Obwohl die Übertragungswege noch weitgehend ungeklärt sind, wurden insbesondere Blutprodukte als wesentliche Infektionsquellen für die häufig tödlich verlaufende Lebererkrankung ausgemacht. Chiron-Forscher waren die ersten, denen es 1987 gelang den Hepatitis C-Virus zu klonieren und ihn als Ursache für die Hepatitis Non-A/Non-B zu identifizieren. Aus diesen Arbeiten sind mehr als 100 Patente in über 20 Ländern hervorgegangen. Praktisch bedeutet das, dass niemand ein Produkt auf den Markt bringen kann, ohne zuvor die Erlaubnis von Chiron erhalten zu haben.

Bisher noch müssen Blutproben, ähnlich wie bei dem HIV auch, mit einem immunologischen Test nach Hepatitis C-Viren untersucht werden. Im Unterschied zu den HIV-Tests bringt ein gentechnischer Test bei HCV jedoch beträchtlich mehr Sicherheit. Bei der Studie des DRK-Blutspendedienstes konnten im Vergleich zu der Antikörperuntersuchung „131 zusätzliche Blutproben entdeckt werden, die mit dem Hepatitis C-Virus infiziert waren“, berichtet Düppe. Derzeit sei der sicherere Test noch nicht gesetzlich vorgeschrieben, so der DRK-Sprecher, „wir setzen ihn jedoch freiwillig ein“. Schließlich schreibe das Arzneimittelgesetz vor, alles zu tun, um eine größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten. Ein wesentlicher Vorteil sei, dass der Test viel früher anspreche. Das „Fenster“, indem einen HCV-Infektion unerkannt bleibe, sei zwar nicht Null, aber weitaus geringer als bei dem immunologischen Test. Erwartet wird, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis das zuständige Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt diese Art von Test verbindlich vorschreiben wird.

Auch Gmünder befürchtet, dass Chiron demnächst versuchen werde, seine Patentrechte auf den Hepatitis C-Virus durchzusetzen. Dem Roche-Konzern steht dann ein erneuter Prozess ins Haus. Denn Roche bietet auch einen Amplicor HCV-Test an. Sollte Roche auch hier unterliegen, würde das für den Konzern noch weitaus teurer werden als beim HIV-Test. Nur ein Trost besteht, denn die zusätzlichen Kosten werden die Patienten zahlen müssen.