piwik no script img

■ „Freie Fahrt für freie Bürger – in Bussen und Bahnen – wäre da schon wünschenswert“Geschröpfte Autofahrer

betr.: „Marktgeschrei“, taz vom 6. 6. 00

[...] Der Staat schröpft schon immer den Bürger mit dem Benzin, natürlich immer zuzüglich Mehrwertsteuer, ist ja klar. Ständig Steigerungen, nicht nur beim Benzin, und dann lehnt der Staat eine Anpassung, zum Beispiel der Kilometerpauschale, ab. [...]

WOLFGANG JOST , Sindelfingen

Outen wir uns

betr.: „Rezzo schlaucht die Grünen“ u. a., taz vom 30. 5. 00 ff

Seien wir mal ehrlich. Zum monatlichen Treffen unseres grünen Ortsverbandes kamen fast alle Mitglieder mit eigenem Auto. Mich begleiten meine Autos seit zwanzig Jahren. Sie waren für mich schon alles, vom vorübergehenden Zuhause, Arbeitsplatz (Taxi), Reiseunterkunft, geliebtes Bastelobjekt, meist aber einfach praktischstes Fortbewegungsmittel, um möglichst unkompliziert meine ganz individuellen Ziele zu verfolgen. Diese meine zwanzig Jahre Auto haben ihren Grund. Sie entsprechen den Strukturen meines Lebensraumes.

Das Thesenpapier von Schlauch, Schmidt und Hustedt, tut nichts anderes (wenn man es aufmerksam liest), als den Status quo zu beschreiben und davon ausgehend Ideen und Visionen zu entwickeln, wie wir dieses Objekt unserer mobilen Begierde bändigen, in einen ökologischen Kreislauf integrieren und die Strukturen nachhaltig umbauen können. Aber zuerst sollten wir uns outen.

Ich bekenne die schizophrene Situation, als Grüner liebe ich mein Auto und alle seine Möglichkeiten und gleichzeitig kämpfe ich gegen diese ausufernde Autogesellschaft. Manchmal ist das so wie Wein trinken und Wasser predigen. Trotzdem und gerade deswegen . . . weil ich dazugehöre, versuche ich meine Gewohnheiten zu ändern und arbeite daran auf Gemeindeebene die Strukturen zu ändern. STEFAN PANGRITZ, im Vorstand des Ortsverbands

B’90/Die Grünen, Weil am Rhein

Mit dem Auto fahren zu können, entspricht dem Drang des heutigen Menschen nach Freiheit, Individualität, Sorglosigkeit und letzten Endes auch sozialer Gerechtigkeit. Da darf mer dann auch nicht Äpfel und Birnen vergleichen und Umwelt oder Gesundheitsaspekte ins Feld führen.

Diese Aspekte müssen auf derselben Ebene diskutiert werden. Hier stellt sich die Frage, wie geht der Mensch mit diesem Gerät um. Bei einigen wenigen wird es verschlaucht, äh, verteufelt, ist für sich ein dämonischer Gegenstand. Für diesen Teil der Gesellschaft ist das Auto sicher nicht ein Ding, an dem sie ihre individuelle Freiheit entwickeln kann, nein, sie blockiert diese damit.

Für den weitaus größeren Teil ist das Auto, wie der Computer oder das Funktelefon ein mehr oder weniger personifizierter, auf alle Fälle emotional besetzter Gegenstand. Hier wird das Objekt zum Subjekt. Die Idee dieser Dinge baut sich in das Selbstverständnis des Nutzers ein. Er kann sich nur noch über und mit diesem Gerät definieren.

Das Objekt drängt die menschliche Seele in den Hintergrund und übernimmt die Bedürfnisgestaltung. Trojanische Pferde des Kapitalismus. Frei kann sich diesbezüglich ein Mensch nur schimpfen, wenn er genauso mit wie ohne Auto sein Leben auf gleichem, emotionalem Niveau gestalten kann. Das Auto, wie auch Geräte sonst, rein zum Zweck zu benutzen, frei in der Entscheidung, weil noch fähig, das Leben anders zu gestalten, dazu gehört eine reichliche Portion Reife und Weisheit. Und letzten Endes Lebensmut. Ergo: Im Istzustand beherrscht das Auto den Menschen und steht seiner Entwicklung zum freien Menschen eher entgegen. Aber Autofahren restriktiv einzudämmen wirkt der Entwicklung zur Freiheit genauso entgegen, die Entwicklung muss den Bedürfniszustand Auto überwinden.

Freie Fahrt für freie Bürger wäre da schon wünschenswert – in Bussen und Bahnen. MATTHIAS RIEDEL, Öhningen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen