Out of the cool, into the cool

■ Das „Tied & Tickled Trio“ nimmt Samstag im Westwerk ein Live-Album auf

Das Kompliment zuerst. Es muss ihnen in Hamburg gefallen haben. Sonst wären sie nicht schon wieder in der Stadt. Heute allerdings haben sie etwas Besonderes vor. Nein, es geht dabei nicht um jene ausgefallene japanische Sextechnik, nach der sich das Tied & Tickled Trio benannt hat: Der eine Partner wird dabei gefesselt und vom anderen gekitzelt, sagt man. Nein, die Weilheimer Supergroup um die Brüder Acher (The Notwist) wird vielmehr im Westwerk mit Tobias Levin an den Controls ein Live-Album einspielen.

In ihrem Fall macht das Sinn. So sehr die Musik der Gruppe, die im von Ornette Colemans „Prime Time“ etablierten Format als Doppel-Trio spielt, aus der Wüste von Indie-Rock durch die Hochebenen moderner Studiotechnologie geschritten ist, um irgendwann den Jazz neu zu erfinden, ist sie eben auch eine improvisierte. Und Improvisation, gerade so intellektuell-filigrane, gestaltet sich vor Publikum noch einmal anders als in der Schutzzone des Studios. Ein Rewind ist da nicht drin; kein King Tubby, kein Teo Macero wird die Stoßgebete der Musiker rechtzeitig hören. Bei den Sechsen schafft das ein Extraquäntchen an Präzision, Druck und Reibungswiderstand. Denn ihre Live-Qualitäten haben sie schon im Februar bewiesen und alte Jazzer wie junge Club-Headz gleichermaßen mit hängendem Unterkiefer zurückgelassen.

Die vertrackte Musik des Tied & Tickled Trios steht dabei immer in historischen Traditionen. Die Bläsersätze über einem gestrichenen Kontrabass schmecken in ihrer Melancholie gelegentlich überdeutlich nach den Arrangements Gil Evans', die Verwendung der Bass-Klarinette deutet auf Eric Dolphy und Billy Maupin, und das polyrhythmische Brodeln, das die beiden Drummer auf digitaler Grundierung anrichten, verweist mühelos auf den Future-Funk, mit dem Miles Davis oder Herbie Hancock den Jazz einst auf extraterrestrische Umlaufbahnen katapultierten.

Gelegentlich stellt sich das zwar mit einer cheesy Pop-Sophistication aus, bewegt sich aber dennoch jenseits des „Zitats“, mit dem schon einmal die New Yorker No-Wave-Bewegung oder –später – die SST-Musiker, den „Jazz“ für sich entdeckten. Das ist maßgeblich das Verdienst des Tenoristen Johannes Enders. Dieser junge cat meint die Sache ernst, verdammt ernst. Sein Spiel bewegt sich nicht akkordisch, sondern auf „modalen“ Tonskalen, wie sie in der Kirchenmusik oder in der indischen Klassik üblich sind.

Im Jazz ist diese Improvisationsweise auf immer und ewig mit dem Namen John Coltrane verbunden, dem spirituellen Über-Gott aller Saxophonisten. Nachdem sich Jazz, wollte man nicht in die Gemütlichkeit zurückfallen, jahrzehntelang nur mittels zickiger Postmodernismen künstlich beatmen ließ, ist ganz vorne auf einmal wieder ganz hinten und hört auf den Namen „Moderne“. Das ist zwar etwas komplizierter, macht aber nichts. Tobias Nagl

Samstag, 21 Uhr, Westwerk