Moor mit Wurstschnittchen

■ Ein reaktivierter Bummelzug soll den Teufelsmoor-Tourismus auf sanfte Art befördern / Die Eröffnungsfahrt geriet zur regionalpolitischen Butterfahrt mit rustikalen Kultureinlagen

An der Hammebrücke sitzt ein Tiger im Schilf und macht Picknick. Ein vorbeiziehender Ruderer läßt irritiert die Paddel sinken. Schaut nach links, nach rechts, lächelt unsicher. Sonntag Vormittag im Teufelsmoor.

Das Raubtier mit dem blauen Sonnenschirm hatte „Sehnsucht nach Landschaft“. Genau so wie die OrganisatorInnen der Waller Stadtteil-Show „Der gute Abend“, die am vergangenen Wochenende zu einer Eröffnungsfahrt im „Moor-Express“ geladen hatten. Eine Station: Die alte Eisenbahnbrücke über den Flusslauf der Hamme zwischen Osterholz-Scharmbeck und Worpswede. Dort hatten die Bremer „Blaumeier“ ein bewegtes Bild mit Tiger, Krokodil und anderen maskierten Statisten in Szene gesetzt.

Der Zwischenstopp war Teil eines Sonntagsausflugs, der auch „kommunale Visionen“ wecken sollte. So die erklärte Absicht der Veranstalter, die Touristikagentur Teufelsmoor-Worpswede-Unterweser und die Kulturwerkstatt westend. Doch die Exkursion geriet zu einer Butterfahrt mit rustikalen Kultureinlagen, händeschüttelnder Lokalprominenz und reichlich Promotion für die touristische Kolonisation des Teufelsmoors.

Dieses Gebiet nordöstlich von Bremen gilt unter Touristikern noch als Entwicklungsland – einmal abgesehen vom Künstlerdorf Worpswede. Der Moorexpress könnte dies ändern, hofft man in der Region. Gemeint sind die Züge, die einst von Osterholz über Worpswede nach Bremervörde und wieder zurück fuhren. Im Jahr 1909 war mit dem Bau der Bahnlinie begonnen worden; knapp siebzig Jahre später schalteten die Signale für den regelmäßigen Personennahverkehr auf „rot“. Seit Anfang Juni sind die alten weinroten Bahnbusse nun wieder nach Plan auf der Strecke unterwegs – bis zum Ende der EXPO. Siebenmal täglich Schneckentempo.

„Zwischen Ostersode und Nordsode ist's am schlimmsten“, sagt Lokführer Frank Ehnert (56). Er sitzt im Führerstand eines – ausnahmsweise modernen – Triebwagens, der zum Teil mit weniger als 40 Stundenkilometern über die eingleisige Strecke dieselt. An manchen Stellen ist der Bahndamm so weich, dass der Moorexpress heftig zu schaukeln beginnt.

Mit an Bord: Dutzende Bürgermeister, Behördenvertreter, ein Korb voll schnatternder Lobbyisten. Allesamt beflissene Leute, die um die Aufmerksamkeit ihrer Mitreisenden buhlen. Devise: In Osterholz-Scharmbeck (in Gnarrenburg, in Bremervörde ...) ist immer was los! Akteure vom Waldau Theater machen lärmende Sketche („Der Investor“), und Moderatorin Frauke Wilhelm bemüht sich, das Chaos aus spröden Interviews, Spaßprogramm und kollabierenden Mikrophonen irgendwie zu ordnen.

Fels in der Brandung ist ein Quartett reifer Damen, das gleich nach der Abfahrt in Bremen die Plastikbecher auspackt. Es gibt Sekt und Käsestängli, die Stimmung ist prächtig. Sie steigt noch, als der Moorexpress in Worpswede eintrifft: Frauen in Trachtenkleidern, die die Reisenden mit Wurstschnittchen laben! Marzipan zum Mitnehmen! Freibier! Folklore!

Man einigt sich darauf, für fünf Mark an der Suppenauswahl zu partizipieren. Currycreme mit Huhn und Shrimps zum Beispiel, die für die mitreisenden Postenträger allerdings gratis ist. Aber diese Unterschiede kann man aushalten, zumal auch noch Butterkuchen (Nordsode), Torf-Likör (Gnarrenburg) und „Speckfalten“ (Bremervörde) auf dem Speiseplan stehen. Überhaupt, die Eingeborenen: Urig sehen sie aus in ihrer perfekten Torfstecherkluft. Manche winken und singen. Woher kommt nur diese Begeisterung?

Landwirt und Hofladenbesitzer Hermann Meyer hofft, dass sich der Moorexpress zur „Schlagader“ des touristischen Wachstums im Teufelsmoor entwickeln könnte. Jens Joost-Krüger von der Touristik-agentur Teufelsmoor-Worpswede Unterweser setzt darauf, „bestehende Infrastrukturen“ – wie die alte Bahnlinie – wiederzubeleben, um so den Tourismus „sanft“ zu befördern. Dummerweise haben die Triebwagen keine auch nur annähernd ausreichenden Kapazitäten für die Zielgruppe Fahrradfahrer.

Vor allem aber ist ungewiss, was mit dem Moorexpress nach Ende der EXPO geschehen wird. Ein längerfristiger regelmäßiger Einsatz würde nach Auskunft der EVB Elbe Weser GmbH, die die Strecke betreibt, nur Defizite erwirtschaften. Viele landschaftsverliebte Stadtmenschen und Pendler müssten die Züge bevölkern, doch wie stark die Nachfrage ist, bleibt unklar. Das Land Niedersachsen schätzt die Zahl möglicher Pendler als zu gering ein.

Immerhin hat es, nach Auskunft von EVB-Geschäftsführer Ulrich Koch, die 153 Tage, die der Moor-express auf Strecke sein wird, mit etwa 280.000 Mark mitfinanziert. Die Betriebskosten der kommenden Monate bezahlt zum Teil der EVB (400.000 Mark); die Landkreise mit ihren Anliegergemeinden tragen über Ausfallbürgschaften das Risiko. Zwölf Mark kostet eine einfache Tour inclusive der Anfahrt von Bremen nach Osterholz-Scharmbeck.

Ein dauerhafter Betrieb sei mit nur ein paar Millionen jedoch nicht zu machen, so Koch. Denn dafür müssten für viel Geld die alten Gleisanlagen in Ordnung gebracht werden. Der Zug soll ja nicht vom Moor verschluckt werden.

Aber wo sind die schwankenden Gründe überhaupt? Wo ist es, das Teufelsmoor? Schwarzbunte Kühe sind zu sehen, viel Grünland, malerisch drapierte Gehölze. Eine paar Hügelchen, die Eingeweihte vielleicht als Reste ehemaliger Hochmoore identifizieren. Schließlich ist das Teufelsmoor schon früh kultiviert worden, besonders im 18. Jahrhundert durch den Moorkolonisator Findorff. Übrig geblieben ist eine hübsch gegliederte Kulturlandschaft.

Das Teufelsmoor. In Neu St. Jürgen sehen wir es endlich. Es ist in großen Säcken verpackt, akurat gestapelt und mit Plastikfolie eingewickelt. Gartenerde. Einige Meter deneben erheben sich Berge aus Torf. Kleine braune Vulkane. Auch das ist Landschaft. Milko Haase