Keine freie Sicht ins Naturschutzgebiet

■ Und täglich grüßt Gerold Janssen von der Naturschutzwacht und findet „alle naselang“ neue Bausünden im Hollergrund: Verbotene Einleitungen, Abfall im Randgewässer und Häuser, die nicht dem Vertrag entsprechen

Baustelle Hollergrund. Und Umweltschützer Gerold Janssen. Beide treffen regelmäßig aufeinander. Inzwischen gehört der Hollergrund direkt am Naturschutzgebiet zu den „bestbewachtesten Baustellen der Welt“, witzelt man im Bauressort. Schuld oder Dank trifft die ständige Naturschutzwacht Janssen, fast 77, der die Bausmaßnahmen alle Naselang inspiziert. „Mindestens zehn Anzeigen“ hat er erstattet. Diese Woche eine neue, wegen Zechbaus Einleitungen in ein Fleet. Janssen hat aber noch weitere „Schweinereien“ auf einem kurzen Kilometer entdeckt.

Einfahrt Hollergrund – ein heiß umworbenes Pflaster für die Bauherren Zech und Gewoba und ihre Werbetafeln. „Tierisch viel sehen“ – unverbauter Blick gerade aus ins Hollerland, verspricht die Gewoba auf ihren Schildern, die den Anwohnern den Blick aufs Pappelwäldchen rauben. „Eigentumswohnungen am Naturschutzgebiet“ preist direkt daneben das Immobilienbüro Justus Grosse auf Riesentafeln an. Den großflächigen Schilderwald haben Nachbarn und Janssen bei Polizei und Stadtamt mehrfach beanstandeten. Ohne Erfolg.

Hausnummer 42. Zech baut gleich neben dem ersten Fleet. Und wo gebaut wird, fallen Späne: In diesem Fallvermutlich Mörtel in das Fleet. Der Rest vom Wandputz landet regelmäßig im Naturgraben, hat ein Nachbar beobachtet. Die Folge: „helle Färbungen, starke Ablagerungen, anorganische Schaumflächen“, meldet Ex-Deichgraf Janssen bei der Polizei. Kripomann Thorsten Möller ermittelt wegen der Gewässerverunreinigung, „die in anderen Bereichen vielleicht nicht mal jemanden aufgefallen wäre.“ Die Baufirma würde nun aufgefordet den Schaden zu beseitigen. Sonst wird der Platz für die Krebsschere im Fleet sichtlich unangenehm. Das Wasser fließt träge ins Randgewässer vom Hollerland. Auch hier haben die Bauarbeiten Spuren gelassen: Eine Bauleiter, Plastikmüll und Pressspanplatten treiben auf dem Wasser.

Hausnummern 40 und folgende. Riegelbauten allesamt, drei bis vier Etagen hoch mit unverbautem Blick und wuchtigem Balkongetümmel Richtung Hollerland. So hatte sich Janssen das nicht gedacht, als er anno 1989 seine Unterschrift mit dem damaligen Bausenator Konrad Kunick (SPD) unter einen Vertrag setzte, in dem von „freistehenden Einfamilienhäusern“ die Rede war und einer 50-Meter-Schutzzone zum Hollerland.

Der Vertrag, heißt es seitdem aus dem Umweltressort in Anführungsstrichen, sei lediglich eine politische Absichtserklärung, ein Kompromiss, gewesen, den Hollergrund, und nicht das Hollerland zu bebauen. Im baurechtlichen Sinne damit allerdings wirkungslos: Die Bebauungspläne wurden dann auch geändert: ein paar Meter von der 50 Meter-Zone abgezwackt, Reihenhäuser zugelassen. Janssen intervenierte. Und erhielt einen Brief vom Mit-Unterzeichner Kunick: Die Gesetzgebungsorgane hätten die Macht, den B-Plan zu ändern. „Sonst hättest Du gewissermaßen den Status eines Fürsten im und zum Hollerland“.

Würde man eine „kleinmaßstäbliche Gesamtökobilanz“ aufstellen, dürften die Änderungen im B-Plan keine „meßbare ökologische Rolle spielen“, versicherte das Umweltressort 1995. Die Flächen für Schutz, Pflege und Entwicklung der Natur und Landschaft würde zwar verkleinert, „meßbare Auswirkungen“ seien aber nicht zu erwarten, schrieb auch Umweltsenatorin Tine Wischer (SPD) 1996.

Niedrigenergiehäuser, flussaufwärts gelegen, und noch im Bau. „Atrium und Ambiente“ hat Gewoba die Typen getauft. Eigentlich sollte bei den Bauten im Hollergrund ein „anderes Denken zum Zuge kommen“, hatte Janssen gehofft. Entsprechend autofrei hatte Gewoba damals geplant, dann autoarm, dann mangels handfester Interessenten die Idee komplett verworfen. Inzwischen ist bei den neuen Niedrigenergiehäusern (rund 440.000 Mark) ein Carport im Preis inbegriffen.

Aussichten: Einen „einzigartigen Blick bis fast nach Vegesack“ verspricht Rainer Bohl von der Gewoba. Eine Lage, die für Immobilienmaker „sehr gut“ sei: Grundstückspreise von unter 400 Mark pro Quadratmeter locken – im Gegensatz zu den zum Teil leerstehenden Weidedamm, wo die Preise bei bis zu 600 Mark liegen. Und die Zukunft? Potenzielle Kunden fragten immer wieder, wie lange der unverbaute Blick wohl noch unverbaut bliebe, meint Bohl. Oder wann Technologiepark, Online-City, Hollerlandtrasse vom Balkon zu besichtigen sein werden. Das würde offen mit den Kunden durchgesprochen. Bleibt aber unklar. Gebaut wird weiter. Und Janssen kommt täglich kontrollieren.

Dorothee Krumpipe