Generäle vor Gericht

In Italien hat ein wegweisender Prozess gegen sieben hohe argentinische Militärs begonnen. 400 Italiener fielen 1976-83 in Argentinien der Militärdiktatur zum Opfer

ROM taz ■ „Oma, Oma, die Feuerwehrmänner haben auf Papa geschossen!“ Immer wieder versagt der alten Frau die Stimme, als sie vom Tod ihres Schwiegersohns berichtet. Mario Marras hatte seine zweijährige Tochter auf dem Arm, als er von argentinischen Militärs aufgespürt und erschossen wurde. Sein einziges Vergehen: Marras war der Schwager Martino Mastinus, eines Werftarbeiters, der sich gewerkschaftlicher Aktivitäten schuldig gemacht hatte. Auch Mastinu fiel einem Greiftrupp der argentinischen Militärjunta in die Hände, verschwand auf immer in einem der Folterzentren – so wie 30.000 andere.

Erst jetzt, 24 Jahre nach den Taten, hat María Manca Gelegenheit, gegen die Mörder ihres Sohns und Schwiegersohns auszusagen – vor einem italienischen Gericht. In dieser Woche trat der Schwurgerichtshof in Rom, der gegen sieben argentinische Militärs verhandelt, in die Zeugenvernehmung ein. Anwesend waren zahlreiche Familienangehörige und Freunde von Verschwundenen, abwesend waren dagegen die Angeklagten, vorneweg die Generäle Carlos Guillermo Suárez Mason, als Kommandant der Militärzone Buenos Aires Chef von 27 Folterzentren, und Santiago Omar Riveros. Die Militärs sind der Verschleppung, Folterung und Ermordung von acht italienischstämmigen Bürgern beschuldigt.

Mit Bedacht hat die Staatsanwaltschaft sich auf die acht Fälle beschränkt, obwohl insgesamt wohl mehr als 400 Italienischstämmige in den Jahren 1976 – 1983 der Diktatur zum Opfer fielen. In den jetzt verhandelten Morden verfügt die Anklage über detaillierte Zeugenaussagen von Überlebenden, die die Identifizierung der Täter erlaubten. Doch in dem Prozess wird die gesamte Repressionspolitik der argentinischen Junta zur Sprache kommen, genauso wie die stille Komplizenschaft, der sich die Generäle im Ausland erfreuten.

Pio Laghi ist heute Kurienkardinal, während der Diktatur war er päpstlicher Nuntius in Argentinien. „Laghi wird das natürlich abstreiten“, erzählt Angela Boitano, deren Sohn und Tochter ermordet wurden. „Aber als wir, fünf Mütter von Verschwundenen, 1979 bei ihm waren, sagte er uns, wir sollten uns keine Hoffnungen machen. Die Militärs würden die Gefolterten nie freilassen. Er wusste also Bescheid über die Folterungen und Morde, doch er meldete nichts davon an den Vatikan weiter.“

Komplizen hatten die Generäle auch in der italienischen Diplomatie. Aufsehen erregte am Donnerstag ein Fernsehinterview des damaligen Konsuls in Buenos Aires, Franco Calamai. Calamai – auch er wird als Zeuge beim Prozess aussagen – berichtete, dass die italienische Botschaft einen Tag nach dem Putsch die Eingänge mit Panzerglasschleusen verbarrikadieren ließ, um politisch Verfolgten den Zutritt zu versperren. Entgegen allen Regeln ließ der Botschafter von einem Postamt aus ein unchiffriertes Telegramm nach Rom absetzen: In Argentinien sei „alles in Ordnung“. Die mitlesenden Junta-Chefs freuten sich über den Solidaritätsbeweis. Nur Konsul Calamai spielte nicht mit; auf eigene Faust beschaffte er hunderten Untergetauchten italienische Pässe und schleuste sie aus dem Land.

Der Wind hat sich gedreht: Die Junta-Militärs müssen mit ihrer Verurteilung rechnen. Doch der Rechtsanwalt Giancarlo Maniga, Vertreter der Opferfamilien, macht sich keine Illusionen über die praktischen Konsequenzen. „Natürlich werden die in Argentinien bleiben, wo ihre Verbrechen unter die Amnestie fallen. Aber uns geht es nicht nur darum, dass sie bei einer Verurteilung mit internationalem Haftbefehl gesucht werden und Argentinien nicht mehr verlassen können. Der Prozess ist wichtig, weil Italien endlich nach Jahren seine juristische Zuständigkeit für die italienischen Opfer reklamiert – und zugleich ist er ein Prozess gegen das Vergessen.“

MICHAEL BRAUN