Stadtluft macht arm

Nach Rio und Istanbul lädt Berlin zur Konferenz „Urban 21 – zur Zukunft der Städte“. Ein Vorabbericht empfiehlt neue Strategien zur baulichen und sozialen Stadtentwicklung

Machte einst Stadtluft noch frei, so droht den Bewohnern der Mega-Cities in Zukunft neben Armut ein Leben ohne Mobilität, öffentliche Infrastrukturen und Räume sowie der Kollaps jedweder Lebensqualität. 2025 wird ein Großteil der über sechs Milliarden Menschen in Städten leben – auch in Metropolen mit mehr als 30 Millionen Einwohnern. In einem selbstzerstörerischen „Hypergrowing“ dehnen sich die Mega-Cities in Südostasien, Zentralafrika oder Lateinamerika bereits heute über ihre Grenzen hinaus aus.

Doch so apokalyptisch wie der vorbereitende UNO-Weltbericht zur Konferenz „Urban 21“, die vom 4. bis 6. Juli Kofi Annan, 2.000 internationale Stadtexperten und Nicht-Regierungs-Organisationen in Berlin versammeln wird, wollte Bundesbauminister Reinhard Klimmt bei der Vorstellung des Berichts die Zukunft für Städte und Bewohner nicht sehen. Angesichts der fortschreitenden Urbanisierung seien es zwar vorrangige Aufgaben, eine Zersiedelung zu vermeiden, die Umweltprobleme zu bekämpfen und die städtischen Selbstverwaltungen zu stärken. Dennoch, so Klimmt, bildeten die Städte den unbestrittenen Focus für die bauliche und soziale Entwicklung sowie für wirtschaftliche und verkehrstechnische Innovationen. Die Stadt bleibe „der Motor des gesellschaftlichen Fortschritts“ und die Prinzipien der „nachhaltigen Stadtentwicklung, wie sie auf der Umweltkonferenz in Rio 1992 und der Habitat-II-Konferenz in Istanbul 1996 formuliert wurden“ seien weiterhin Instrumente, um städtische Zerstörungsmechanismen zu vermeiden.

Dass Klimmt das Zauberwort von der Nachhaltigkeit als Schlüssel zur Lösung der urbanen Probleme vor die Füße fallen könnte, wie Kritiker der Weltkonferenz „Urban 21“ vorwerfen, wird selbst vom Weltbericht bestätigt, der noch ganz andere Schwierigkeiten diagnostiziert.

Den hyperwachsenden Städten etwa Lateinamerikas oder des mittleren Ostens mit einem 40-prozentigen Anteil armer Bevölkerung empfiehlt der Bericht zunächst, das Erziehungs- und Ausbildungswesen zu verbessern und den „informellen Sektor“ zu fördern – beispielsweise durch Selbsthilfeprojekte statt industrieller Nachrüstung.

Instrumente der Stadtentwicklung für die asiatischen Städte mit ihrem ungebremsten Wachstum und hohen Ressourcenverbrauch sieht der Bericht in einem neuen Stadtmanagement. Hier sei es besonders notwendig, den Verkehr zu lenken, ökologische Baumaterialien und Energieträger zu entwickeln sowie räumlich besser zu planen.

Die großen europäischen Städte sind aufgefordert, nicht nur ihre Innenentwicklung zu intensivieren, sondern darüberhinaus spezielle soziale Sicherungen und öffentliche Infrastrukturen für die „Urbaniten“ zu fördern. Um dem Zustand der Segregation und Stadtflucht entgegenzuwirken, empfiehlt der Bericht, der in die Abschlusserklärung einfließen soll, eine erleichterte Einwanderungspolitik: Nachhaltigkeit einmal anders. ROLF LAUTENSCHLÄGER