Ein Streik, der glücklich macht

ÖTV will sich in die Herzen der Deutschen streiken. Staat und Kommunen sollen gepiesackt werden, Bürger sollen profitieren. Streik beim Knöllchenschreiben und an der Freibadkasse. Oder fällt der Spaßstreik aus? Gestern begann Tarifpalaver

aus Dresden NICK REIMER

Parken könnte in der nächsten Woche Spaß machen. Nachdem die Gewerkschaften per Urabstimmung von ihren Mitgliedern mit der Ausrichtung eines Streiks beauftragt worden sind, soll nach Pfingsten mit einer „Politik der kleinen Nadelstiche“ begonnen werden. Nadelstiche heißt: Zunächst sollen die Bereiche bestreikt werden, die den Arbeitgebern wehtun, Finanzämter also und Behördenbuchhaltung. Den Bürgern wollen die Streiker sogar Gutes tun: Hilfspolizei und Politessen streiken beim Knöllchenschreiben. Folgerichtig ist auch unwahrscheinlich, dass die Mülltonnen vorm Haus oder Straßenbahnen in den Depots stehen bleiben, Freibäder oder Kitas schließen.

So jedenfalls sieht die Strategie der ÖTV aus, die gestern in Stuttgart beraten wurde. ÖTV-Chef Herbert Mai erklärte, die Kreisverwaltungen hätten eine Fülle von „kreativen Ideen“. So könnten in Schwimmbädern die Verkäufer der Eintrittskarten streiken, was einen kostenlosen Schwimmbadbesuch zur Folge hätte. Da in den neuen Bundesländern viele Lehrer nicht verbeamtet seien, „haben die Schüler dort vermutlich allen Anlass, sich über den Streik zu freuen“.

Ein Grund für diese Zurückhaltung ist das Ergebnis der Urabstimmung. Die ÖTV übertraf das für einen Streik notwendige Quorum von 75 Prozent nur knapp, bei der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) votierten gar nur 72,8 Prozent für Streik. Bei den Streiks 1974 und 1992 lag die Zustimmung der Basis teilweise über 90 Prozent.

Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung ist die klamme Streikkasse. Ein einziger flächendeckender Streiktag würde die ÖTV für Lohn- und Gehaltsausfälle knapp einen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Das kann die ÖTV, der in den letzten zehn Jahren gut ein Viertel ihrer Mitglieder abhanden gekommen ist, schlecht durchstehen.

Auch der ausgehandelte Schlichterspruch ist ein Grund für die Zurückhaltung. Dieser sah 1,8 Prozent mehr Geld für das laufende und 2,2 Prozent für das kommende Jahr vor. Bis 2002 sollten die Einkommen der Arbeiter und Angestellten in Ostdeutschland von jetzt 86,5 Prozent auf 90 Prozent des Westniveaus angehoben werden. Zum Annehmen zu niedrig, zum Streiken aber zu viel, so schätzen die Gewerkschaftsspitzen den Schlichterspruch ein.

ÖTV-Chef Herbert Mai und DAG-Verhandlungsführer Christian Zahn wollten das Angebot annehmen, ruderten aber zurück, als ihre Funktionäre an einer 2 vor dem Komma für dieses Jahr und einer 100-prozentigen Angleichung bis 2002 festhielten. „Ein Chef kann nur ein besseres Ergebnis erziehlen, wenn er mit Herz und Seele kämpft“, steht Mai wegen des Zickzackkurses in der Kritik.

Nicht verwunderlich ist deshalb, dass der ÖTV-Chef noch auf eine friedliche Lösung des Tarifkonflikts in letzter Minute hofft. Bei einem Spitzengespräch, das überraschend schon am gestrigen Abend begonnen wurde, sollte über Laufzeiten und Strukturen des Schlichterspruchs neu verhandelt werden. So machte der Verhandlungsführer der Kommunen, Bochums Oberbürgermeister Ernst Otto Stüber, gestern seinem Widerpart Mai Mut. Der erklärte allerdings prompt, dass palavern nur Sinn macht, wenn ein besseres Angebot vorgelegt werde. Das wiederum schloss Sachsens Finanzminister Georg Milbradt aus, der Verhandlungsführer der Länder: „Es besteht kein Spielraum.“