So funktioniert der Atomausstieg

Am Mittwoch steht die wohl letzte Runde der Atomgespräche an. Der Entwurf der Vereinbarung liegt vor: Eine Konsensbeschreibung in sechs Schritten

von HANNES KOCH

1. Kommt das Ende der Atomindustrie?

Wenn sich die Bundesregierung und die Stromunternehmen RWE, PreussenElektra, Bayernwerk und Energie Baden-Württemberg am Mittwoch einigen, ist für beide Seiten klar: Die Atomkraftwerke laufen nur noch eine begrenzte Anzahl von Jahren. Die Konzerne verzichten auf die Forderung finanzieller Entschädigung. Besonders Kanzler Schröder hat sich mit seiner Absicht durchgesetzt, das Ende der Atomkraft ohne Entschädigung zu bewerkstelligen.

2. Wie lange sollen die AKWs noch laufen?

Das müssen Schröder, Umweltminister Jürgen Trittin, Wirtschaftsminister Werner Müller und die Konzernchefs noch aushandeln. Für jedes AKW soll eine Restlaufzeit festgelegt werden. Nach Informationen der taz hält Rot-Grün noch an seiner Ansage fest, die Kraftwerke nur durchschnittlich 30 Jahre am Netz zu lassen.

Außerdem wird für jede Anlage eine noch zu produzierende Strommenge vereinbart. Letztere könnte nach dem Entwurf großzügig ausfallen, denn die Basis dafür stellt die durchschnittliche Atomstromproduktion von 160 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr dar. Atomkritiker Klaus Traube hält diese Größe für „erstaunlich hoch“, denn nur in den Jahren 1997 bis 1999 erreichten die Anlagen eine so hohe Produktion. In den acht Jahren zuvor lag sie durchschnittlich bei nur 144 Milliarden Kilowattstunden. Die Industrie fordert, auf die Referenzmenge nochmals bis zu 6,8 Prozent draufzuschlagen, nach Ansicht der Regierung reichen 2 Prozent. Die Produktionssumme wird mit den Restlaufjahren multipliziert – und ergibt das voraussichtliche Abschaltdatum für das jeweilige AKW.

Den beiden ältesten AKWs, Stade und Obrigheim, die vermutlich demnächst abgestellt werden müssten, wird eine Übergangsfrist bis Dezember 2002 eingeräumt, so dass sie nicht mehr vor der nächsten Wahl abgeschaltet werden müssen. Auch die Abschaltung von Biblis A ist nicht geregelt. Die Regierung erwartet aber, dass RWE dieses Kraftwerk als Gegenleistung für den Konsens „freiwillig“ vom Netz nimmt.

3. Wie viel Spielraum haben die Konzerne bei der Abschaltung?

Sie dürfen Strommengen von einem AKW zu einem anderen übertragen, damit die profitabelsten Anlagen länger laufen können. Übertragen werden darf aber nur von älteren auf neuere und von kleineren auf größere Kraftwerke. Die Regierung will sicherstellen, dass die ältesten AKWs früher abgeschaltet werden. Das Bundesamt für Strahlenschutz, nicht die Behörde des jeweiligen Bundeslandes kontrolliert dieses Verfahren. Dadurch soll die Novelle des Atomgesetzes keiner Zustimmung des Bundesrates bedürfen.

4. Hat die Regierung nach dem Konsens noch Druckmittel?

Rot-Grün verpflichtet sich, den „ungestörten Betrieb“ der AKWs zu garantieren, wenn diese die rechtlichen und technischen Anforderungen einhalten. Eine „Diskriminierung“ der Atomenergie, etwa durch das „Steuerrecht“, wird ausgeschlossen. Der SPD-Politiker Hermann Scheer hält eine neue Steuer auf Kernbrennstoffe trotzdem weiterhin für möglich, denn die Abschaffung der bisherigen Steuerfreiheit bedeute keine „Diskriminierung“, sondern eine Abschaffung von „Privilegien“.

5. Was passiert mit den Atommülllagern?

Die Erkundung des geplanten Lagers für hochradioaktive Abfälle im Salzstock von Gorleben soll für „mindestens drei, längstens jedoch zehn Jahre unterbrochen“ werden. Die Regierung will in der Zwischenzeit untersuchen lassen, ob nicht andere Lagerorte in Betracht kommen. Der Rahmenbetriebsplan für Gorleben wird freilich über das zehnjährige Moratorium hinaus verlängert. Die Anlage für die Behandlung von AKW-Abfall in Gorleben soll genehmigt werden, aber nur der Reparatur von defekten Castorbehälter dienen. Beim Lager Schacht Konrad für schwach- und mittelradioaktive Abfälle will man das Genehmigungsverfahren beenden. Das Lager soll dann aber nicht sofort in Betrieb gehen. Durch diese Konstruktion können Gerichtsverfahren die Inbetriebnahme weiter verzögern. Die Industrie verzichtet auf Rückzahlung ihrer Investitionen.

6. Wann endet die Wiederaufarbeitung von Atommüll?

Spätestens ab 1. Juli 2005 sollen die Konzerne keinen Müll mehr in die Wiederaufbereitungsanlagen von La Hague und Sellafield transportieren. Das ist ein Zugeständnis an die Konzerne: Denn so können alle laufenden Verträge eingehalten werden.