Tanz den Traum vom Kommunismus

■ Beeindruckend: Mit „Heinrich Eduardowitsch – Archäologie eines Traumes“ widmete sich die Cosmos Factory dem Leben des Künstlers Heinrich Vogeler

Im Privatleben anderer Leute herumschnüffeln gehört sich eigentlich nicht. Das dachten sich auch Ute Falkenstein und Oliver Peuker von der Theatergruppe Cosmos Factory, als sie sich entschlossen, ein Stück über das Leben Heinrich Vogelers zu verfassen. Aber glücklicherweise heißt „eigentlich“ nicht auf keinen Fall. Also schnüffelten sie trotzdem. Zahlreiche Briefe des Worpsweder Malers, Textmaterial von seinen Freunden und Weggefährten und sogar ein psychiatrisches Gutachten wurden für die Produktion „Heinrich Eduardowitsch Archäologie eines Traumes“ ausgewertet, die am Wochenende in der „Schamaika“ bei Worpswede zu sehen war.

„Seien wir also Einbrecher in eine fremde Existenz“, leitete Oliver Peuker schuldbewusst den Abend ein. Dieses Eingeständnis äußerte der solistisch auftretende Schauspieler in seiner Rolle als fiktive, leicht zynisch durch den Abend führende Figur. Sobald sich Peuker aber eine Kopfbedeckung aufsetzte, vertauschte er diese Rolle mit der Darstellung des ganz und gar nicht zynischen, vielmehr träumerischen und sensiblen Künstlers Vogeler.

Dessen ungewöhnlich vielseitigen Lebensweg mit geringen Mitteln glaubhaft wiederzugeben erfordert viel Fantasie. Schauplätze und Erlebnisse wie die Idylle des Barkenhoffs, der Erste Weltkrieg, die Worpsweder Kommune, der kommunistische Traum, der ihn nach Moskau trieb, sowie die dort erlittene Enttäuschung über den Hitler-Stalin-Pakt wollen erst einmal auf die Bühne gebracht werden. Da wurde der große Malerpinsel schnell zu einem Gewehr oder einem Mikrofon umfunktioniert und das kleine Podest in ein Schiff verwandelt. Und die im hinteren Bühnenteil angebrachte Leinwand diente einem Schattentheater, welches der optischen Darstellung einen großen Spielraum bot.

Die Symbolik dieser Einfälle zeichnete sich nicht allein durch ihre Verständlichkeit, sondern vor allem durch eine eindrucksvolle Ästhetik aus: so etwa Vogelers liebevoller, spielerischer Tanz mit einem roten Luftballon, der nicht in dessen Zerplatzen endete. Die Frage, ob der „rote Traum“ in der kommunistischen Realität Moskaus ein Ende findet oder nicht, blieb somit schwebend im Raum.

Ein solch zartes Motiv einer innigen Beziehung unmittelbar an eine dramatische Kriegsszene zu fügen, ist freilich gewagt. Dass dieser Kontrast nicht unglaubhaft wirkte, war jedoch der darstellerischen Leistung Oliver Peukers zu verdanken. Ihm gelang es, dem Publikum die Denkweise des Malers überzeugend zu vermitteln und so dessen scheinbar widersprüchliches Leben zu erklären. „Manche Männer benötigen einen Weltkrieg, um ihr Familienleben zu regeln“, rief er im Schützengraben liegend aus: Krieg ist eine Medizin. Hat sie ihre Funktion erfüllt, lässt es sich wieder vom Frieden träumen.

Die folgenden Erlebnisse in der Sowjetunion, die Hoffnungen und Enttäuschungen bis zum Tod des völlig verarmten Künstlers in Kasachstan zeigen den Kontrast der Wirklichkeit zur Träumerei auf – nicht belehrend, nicht urteilend, sondern einfach dokumentierend. Wie ein Einbrecher eben, der sich in der fremden Wohnung umsieht. Der Einbruch hat sich gelohnt.

Johannes Bruggaier

Das Stück ist nochmals Fr, 16. Juni, um 20 Uhr im Gasthaus Schamaika (Teufelsmoorstr. 13a, Osterholz-Scharmbeck) zu sehen. Karten und Infos unter Tel.: 04792/950 121