kummerkasten
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Ein trauriges leeres Stück Plastik, ergometrisch gebogen, im König-Baudouin-Stadion in Brüssel beim Eröffnungsspiel: Das taz-Exklusivgespräch mit Sitzschale 27, Haupttribüne, Block 4, Reihe 2.

Was ist los? Sie sehen so traurig aus?

Ich fühle mich so allein gelassen. Eine große Leere. Auf mir gestern. Und seitdem in mir. Lassen Sie mich mit Meister Goethe sprechen: „Musst ich nicht mit der Welt verkehren? Das Leere lernen, Leeres lehren?“ Faust übrigens.

Niemand wollte Sie?

Niemand. Dabei war das Stadion doch seit Monaten ausverkauft; die Eröffnungsshow, alles. Aber sehen Sie, ich bin ein nutzloses Objekt.

Aber Sie waren gebucht!

Hunderte meiner Stuhlkollegen haben am Samstag das gleiche erlebt. Keiner kommt, reihenweise, rundum. Wahrscheinlich sind es sogar über tausend traurige Schalen. Meine prominenten Kollegen da oben, wo die Beatrix drauf saß und die anderen Menschenpromis, die hatten was zu erzählen. Unter uns: Auch Adelsfürze sind nicht schön. Aber wir hier unten: Wer will schon in die erste Reihe. Das zählt nur was in Ihrem Fernsehen. Die Leere ging ja bis Reihe 6. Vermutlich fehlten einfach die Sponsorenärsche.

Vielleicht haben die Leute woanders gesessen?

Platzwechsel widerspräche allem Sicherheitsdenken. Andererseits ist das halt Belgien. Was funktioniert hier schon?! In anderen Stadien ging es doch weiter, meine blauen Kollegen in Arnheim. Und die armen Gräulinge in Brügge.

Auch eine Schale hat eine Seele?

Wissen Sie, als wir in der Fabrik hörten, wir kommen ins Baudouin-Stadion, waren wir sehr glücklich. Aber weil ich in einer so ungünstigen Reihe angeschraubt worden bin, kann es sein, dass mein ganzes Schalenleben schal bleibt. Dass nie jemand auf mir sitzt. Dass meine ganze Existenz sinnlos ist.

Nichts Neues!

Wie im alten Sprichwort: Wer immer von Fülle predigt, kriegt leere Bänke. Wie in England vor vier Jahren: Ich kenne englische Kollegen, die sind heute noch in psychiatrischer Behandlung.

Aber allein können Sie das Spiel besser sehen!

Ach, Fußball interessiert doch keinen Stuhl.

Interview: B. MÜLLENDER

Fotohinweis:SITZSCHALE 27 (Reihe 2, mitte): „Diese Leere!“  FOTO: AP