„Sehr viel Geist gesehen“

Der Weltmeister aus Frankreich fertigt nach anfänglichem Dusel die wenig belustigten Dänen 3:0 ab, erntet etwas zu viel Lob und hat einen grandiosen Zinedine Zidane in seinen Reihen

aus Brügge BERND MÜLLENDER

Hinterher hatten die Franzosen gut lachen. „Die Dänen haben sich selbst verausgabt“, analysierte Bixente Lizarazu, das flinke linke Viererkettenabwehrglied, „dafür mussten sie dann büßen.“ Und Zinedine Zidane, der überragende Mittelfeld-Zauberer der 2. Halbzeit: „Dieses Spiel war ein Vergnügen.“ 3:0. Vive la France. Starke Franzosen. Das konnte man vom amtierenden Weltmeister schließlich auch erwarten?

Doch nicht wenige hatten geunkt, die Champions von 1998 seien nicht mehr so stark. Beleg: Die Quälerei in der Qualifikation. Und: alle waren sie gemeinsam zwei Jahre älter geworden und vielleicht auch nicht mehr so motiviert. Tatsächlich spielte, abgesehen von den beiden Jungstürmern Anelka und Henry, im Schnitt eine Ü-30-Auswahl. Ja, und was stimmt? Beides. Am Anfang war Frankreichs Spiel Kollektivchaos. Mon dieu – wie sie da einem Rückstand gegen leidenschaftlich frische Dänen entgingen. Als Thierry Henry nach knapp einer Stunde bei wackliger 1:0-Führung lässig freistehend verlupft hatte und sein arrogantes Versagen stoisch wie einen Schicksalsschlag hinnahm, wollte man schon sicher sein: Das ist kein souveränes Team, sondern Arrofrance. Und die werden bestimmt noch bestraft.

Falsch. Fünf Minuten später hatte Henry getroffen, die Show nahm ihren Lauf, und die armen Dänen wurden vorgeführt. Zinedine Zidane zauberte ein Kunststück nach dem anderen auf den Rasen, dass nur staunendes Verzücken blieb und die französischen Fans (trotz Landesnähe gegenüber den Dänen im Verhältnis 1:2 in der Minderzahl) nur noch ihren „Zizou“ feierten.

Zinedine Zidane, 28, tätig bei Juventus Turin, zweifacher Endspieltorschütze 1998, schon damals herausragend, scheint noch grandioser geworden zu sein. Dieser Mann schafft per Grätsche Steilvorlagen; er scheint mit sich selbst Doppelpass zu spielen, er netzert und maradonat beckenbauerhaft wie Pelé und Platini im gleichen Moment. Längst steht er schon da, wo andere noch hinrennen, und ist lange weg, wenn die ankommen. In einer Mischung aus Bescheidenheit und Spöttelei sagte er hernach: „Wenn mich die Dänen halt nicht decken wollen ...“

Leider passte die zeitweilige Fußball-Demonstration der Franzosen und das EM-Ambiente gar nicht recht zueinander. Panne auf Panne begleitet schon jetzt dieses Turnier. Ärgerliche rund tausend freie Plätze in den Stadien (siehe Kummerkasten) scheinen pro Spiel zum verlässlichen Euro-Kurs zu werden. In Brügge existierten garantierte Karten nicht; dito angewiesene Parkplätze, der öffentliche Nahverkehr war weiträumig um die Stadionburgen stillgelegt. Wer einen Hot Dog essen will, muss an Euro-2000-Buden Bons für mindestens 25 Mark kaufen.

Die Arbeitsbedingungen für die Medien sind grotesk. Die Pressekonferenz war quasi abgeschafft; 72 Journalisten von vielen hundert bekamen per Uefa-Gnaden eine Zutrittserlaubnis. Die anderen quetschten sich vor TV-Geräten, um das kaum verständlich Gehörte nachher in Arbeits-Schachteln, die Legehennen weitläufig fänden, schwitzend niederzuschreiben. Plötzlich war von einem gewissen Bertie Woogts die Rede. Der Vor-Ribbeck hatte als Fachmann gemeinsam mit Roy Hodgson den Spieler des Tages gewählt: Thierry Henry. Eine gute Wahl – wenn Zidane nicht mitgespielt hätte. So aber eher ein Humorbeitrag.

Genau in dem Moment, als sich der Arsenal-Stürmer vor die Mikrofone setzte, kam der Pinkelbefehl zur Dopingprobe und er musste sofort wortlos wieder gehen. Alle lachten. Manche Pannen sind auch schön.

Trainer-Urin ist nicht so gefragt, beide durften bleiben. „Für die Dänen ist die Niederlage nicht so schlimm“, meinte Frankreichs Roger Lemerre, „sie haben ja noch zwei andere Spiele.“ Gegen Holland und Tschechien, und halt nicht mehr gegen Frankreich. In die Mixed Zone zu den Spielern durfte genau ein deutscher Kollege. Der hielt dann eine eigene Pressekonferenz ab, um der Kicker Worte kollegial und immerhin umsonst zu überbringen.

Bei diesem Ambiente darf man schon mächtig stolz sein, die Trophäe eines exklusiven Statements zu apportieren. Frank Arnesen, Doppelfachmann der Gruppe D als dänischer Ex-Nationalspieler und Manager des niederländischen PSV Eindhoven, meinte: „Nur wenn bei dir alles klappt, hast du gegen diese Franzosen eine Chance. 60 Minuten haben wir sehr gut mitgespielt. Aber dann ...“ Die Dänen, klagte er, hätten halt drei Unersetzbare ersetzen müssen, die Franzosen wechselten ein und aus „und spielten auf gleichem Niveau weiter“. Und so war Arnesen von Weltmeisters erstem Europa-Auftritt schließlich doch schwer beeindruckt: „Da habe ich sehr, sehr viel Geist gesehen.“

Frankreich: Barthez - Thuram, Desailly, Blanc, Lizarazu - Deschamps, Petit - Djorkaeff (58. Vieira), Zidane - Henry, Anelka (82. Wiltord) Dänemark: Schmeichel - Colding, Henriksen, Schjönberg, Heintze - Bisgaard (72. Jörgensen), Allan Nielsen, Töfting (72. Gravesen), Grönkjaer - Tomasson (80. Beck), Sand Zuschauer: 30.000; Tore: 1:0 Blanc (16.), 2:0 Henry (64.), 3:0 Wiltord (90.)