Verspätet zum nördlichen Bruder

Der erste Gipfel von Nord- und Südkorea wurde wegen „technischer Schwierigkeiten“ um 24 Stunden verschoben. Plötzlich werden die hohen Erwartungen in Südkorea an das bereits als historisch bezeichnete Treffen wieder zurückgeschraubt

aus Tokio ANDRÉ KUNZ

Die nordkoreanische Regierung hat am Sonntag Südkoreas Präsidenten Kim Dae-jung mit dem Wunsch überrascht, das ab gestern vorgesehene historische Treffen zwischen dem südkoreanischen Präsidenten und dem nordkoreanischen Führer Kim Jong Il wegen „kleinerer technischer Schwierigkeiten“ um 24 Stunden auf heute zu verschieben. Die unerwartete Verschiebung löste eine Reihe von Spekulationen aus. Pessimisten reden bereits von unüberbrückbaren Differenzen bei der Wahl der Gesprächsthemen und von Einwänden nordkoreanischer Hardliner gegen das Treffen. Optimisten führen dagegen eher irdische Probleme wie die prekäre Stromversorgung und die ungenügenden Telekommunikationseinrichtungen in Pjöngjang für die Verspätung an.

Die überraschende Verschiebung ist ein wichtiger Hinweis auf die großen Unterschiede zwischen beiden Ländern, die seit dem Koreakrieg (1950 – 53) keine offiziellen Beziehungen unterhalten. Getrennt von der vier Kilometer breiten so genannten entmilitarisierten Zone entlang des 38. Breitengrades hat sich der Süden zur drittgrößten Wirtschaftsnation Asiens mit demokratischen Strukturen entwickelt. Das Pro-Kopf-Einkommen der 47 Millionen Einwohner betrug 1999 rund 18.000 Mark. Verarmt sind dagegen die 22 Millionen Nordkoreaner, die im Schnitt hundertmal weniger verdienen und denen dieses Jahr erneut eine Hungersnot wegen Dürre droht.

Im hermetisch abgeriegelten stalinistischen Staat von Kim Jong Il stehen zwei Drittel der Produktionskapazitäten wegen Energiemangels still. Nur im Rüstungswettkampf hielt Nordkorea mit. Pjöngjang unterhält eine Armee von 1,1 Millionen Soldaten und besitzt ein bedrohliches Arsenal chemischer und biologischer Waffen. Im Süden stehen 670.000 südkoreanische und 37.000 US-Soldaten unter Waffen, was die koreanische Halbinsel noch heute zu einem der gefährlichsten Krisenherde der Welt macht. Nicht umsonst hoben südkoreanische Regierungsvertreter in den letzten Tagen hervor, dass die Gespräche nur „der erste Schritt zu entspannteren Beziehungen“ mit dem Norden seien. Obwohl das Treffen bereits Anfang April verkündet wurde, ist wenig über die konkreten Gesprächsthemen bekannt. Südkoreas Präsident Kim Dae-jung wird Hilfe für den wirtschaftlichen Aufbau des darbenden Nordens anbieten und hofft im Gegenzug auf eine Lockerung der Einreisesperren für Familienzusammenführungen.

Die südkoreanische Delegation möchte auch die militärischen Spannungen auf der Halbinsel reduzieren. Nachdem Nordkorea im August 1998 eine Langstreckenrakete über die japanische Hauptinsel Honshu geschossen hatte, drängen die USA und Japan auf die Einstellung dieses bedrohlichen Raketenprogramms. Nordkorea seinerseits wird den Abzug der US-Truppen aus Südkorea fordern, bevor eigene Abrüstungsschritte in Aussicht gestellt werden.

Mehr Erfolg erwarten die Südkoreaner in Wirtschaftsfragen. Mit dem Präsidenten reist eine hochrangige Delegation von Konzernvertretern, die Pläne für den Aufbau einer nordkoreanischen Exportindustrie ausgearbeitet haben. Damit jedoch eine engere wirtschaftliche Verflechtung der beiden Länder zustande kommt, müssen erst grundsätzliche Fragen wie der Kapitaltransfer und Sicherheitsgarantien für Investitionen geregelt werden. Erst dann können bereits begonnene Projekte der südkoreanischen Familienkonglomerate aufblühen.

Hyundai, Samsung und LG investieren bereits in neue Werke im Norden, die später Fernsehapparate, Bildschirme und Haushaltsgeräte für den Export produzieren sollen. Allerdings haben diese Konzerne, die ihre Verträge direkt mit der Führung in Pjöngjang abschlossen, klar ausgedrückt, dass eine größere Investitionswelle erst nach dem Abschluss bilateraler Verträge mit Seoul zu erwarten sei.

Ungeduldig warten in Südkorea auch rund 750.000 Menschen, die während des Kriegs von ihren Familien im Norden getrennt wurden. Diese älteren Leute hoffen auf eine Einigung der beiden Führer, die die Zusammenführung getrennter Familien ermöglicht. In den letzten 47 Jahren konnten nur ganze 65 südliche Familien über offizielle Kanäle ihre Angehörigen im Norden kontaktieren. Die anderen mussten sich über inoffizielle teure Mittelsmänner oder riskante Treffen in China behelfen.

Erzielt Südkoreas Präsident Kim Daejung in der Frage der Familienzusammenführung keine Resultate, dann wird er zu Hause mit harscher Kritik der politischen Opposition rechnen müssen. Die bezeichnet seinen offiziell als „Sonnenscheinpolitik“ bezeichneten Entspannungskurs gegenüber dem Norden schon jetzt als zu „weich“.