Texas` Todesmaschinerie unter Anklage

Neue Studien über groteske Verfahrensfehler bei Strafprozessen haben die Debatte über die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten wieder angeheizt. Der republikanische Kandidat George W. Bush gerät unter Druck

BERLIN taz ■ Das kann der republikanische Präsidentschaftskandidat und überzeugte Befürworter der Todesstrafe George W. Bush nun überhaupt nicht gebrauchen: Eine gerade veröffentlichte Studie der Chicago Tribune weist dem Justizsystem des Bundesstaates Texas, dem Bush als Gouverneur vorsteht, beachtliche Mängel vor. In einer großen Zahl der 131 Fälle, in denen unter Bushs Ägide die Todesstrafe vollstreckt wurde, waren die rechtlichen Umstände der Verurteilungen hanebüchen.

Mit 218 hingerichteten Frauen und Männern seit der Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 steht Texas im US-weiten Kontext an erster Stelle. Als Gouverneur hat Bush die Möglichkeit, einen verurteilten Häftling zu lebenslanger Haft zu begnadigen oder einen 30-tägigen Aufschub der Exekution anzuordnen, um die Fakten erneut zu prüfen. Beides hat Bush nur ein einziges Mal getan.

Die Veröffentlichung der Chicago Tribune ist nur ein Teil einer im Wahljahr neu entflammten Debatte über die Todesstrafe in den USA. Nachdem Studien eine recht hohe Fehlerquote bei Todesurteilen ergeben hatten, hatte der Gouverneur von Illinois im Januar ein Moratorium verhängt, das die Vollstreckung der Todesstrafe vorläufig aussetzt. Und die Vereinigung der Ärzte des öffentlichen Dienstes forderte am Wochenende die Aussetzung aller Todesstrafen, solange die Möglichkeit von DNA-Tests in der Gerichtsmedizin nicht flächendeckend verfügbar sei.

Ebenfalls am Wochenende veröffentlichte der Juraprofessor James Leibman von der Columbia University, ein erklärter Todesstrafengegner, eine Untersuchung von immerhin 4.600 Gerichtsverfahren. Sein Ergebnis: In fast 70 Prozent aller Fälle, die mit einem Todesurteil endeten, seien schwerste Fehler gemacht worden. Leibman kommt zu dem Schluss, das US-System der Todesstrafe breche „unter der Last der eigenen Fehler zusammen“. Denn die Justiz sei darauf aus, „so viele Todesurteile wie möglich auszusprechen“.

So funktionieren auch die Gouverneure: „Angesichts großer öffentlicher Unterstützung der Todesstrafe tendieren Gouverneure dazu, die politischen Kosten zu fürchten, wenn sie eine Hinrichtung stoppen. Im Ergebnis wird nicht nur überaus selten Gnade gewährt, sondern auch ganz nach Lust und Laune. Die Möglichkeit der Gnade ist somit kein Rettungsanker, sondern ein weiterer Willkürakt in einem ohnehin schon willkürlichen System“, schreibt die Washington Post in einem Kommentar vom 10. Juni.

Wie Leibman, so kommt auch die Texas-Untersuchung der Chicago Tribune zu dem Schluss, dass eine mangelhafte Verteidigung durch miserable Anwälte einer der Hauptgründe für viele Verurteilungen ist. In 43 der 131 Fälle in Texas etwa hätten Pflichtverteidiger die Angeklagten vertreten, die vorher oder nachher disziplinarisch belangt wurden oder denen die Anwaltszulassung entzogen wurde. So etwa der Anwalt José Luis Pena, dem 1985, gerade 17 Monate nach seiner Zulassung als Anwalt, die Verteidigung des wegen Vergewaltigung und Mord angeklagten Davis Losada anvertraut wurde. Pena tat während des Prozesses nichts, was die Aussagen der wichtigsten Zeugin der Anklage in Zweifel gezogen hätte und hielt ein denkwürdiges Plädoyer, um den Kopf seines Mandanten zu retten: „Ladies und Gentlemen“, sagte er den Geschworenen, „gestern, als ich zu ihnen sprach, gingen die Lichter aus. Ich weiß nicht. Vielleicht war das ein Zeichen. Heute hat es geregnet. Vielleicht war das ein Zeichen. Vielleicht sind die Regentropfen der Schlüssel. Das müssen Sie heute entscheiden“ – um nur wenige Sätze später zu enden: „Das System. Gerechtigkeit. Ich weiß nicht. Aber das ist es, was Sie machen werden.“ Losada wurde zum Tode verurteilt und 1997 hingerichtet. Pena gab später zu, in einem Interessenkonflikt gewesen zu sein, weil er die Zeugin der Anklage selbst vorher verteidigt habe. Er wurde 1994 geschasst, weil er Geld von Mandanten veruntreut hatte.

Solche Pflichtverteidiger werden von den lokalen gewählten Richtern berufen – und diese benennen nicht selten Freunde und Unterstützer oder Verteidiger, deren Erfahrung für eine Strafverteidigung in einem Kapitalverbrechen nicht ausreicht. Im vergangenen Jahr stoppte George Bush per Veto einen Gesetzesentwurf in Texas, nach dem die Ernennung von Pflichtverteidigern durch eine neutrale Jury erfolgen sollte – der Entwurf hatte die Legislative einstimmig passiert, Bush jedoch gab dem Druck der Richter nach, die ihre Macht bedroht sahen.

Bush selbst hat die Schlussfolgerungen der Chicago Tribune zurückgewiesen. „In jedem einzelnen Fall“, sagte er am Sonntag, „haben wir die Frage nach Schuld oder Unschuld hinreichend beantworten können.“ Bushs demokratischer Kontrahent Al Gore, ebenfalls Befürworter der Todesstrafe, hat sich zu dem Komplex bislang nicht geäußert. Er war allerdings auch nie als Gouverneur in der Lage, über Leben und Tod zu entscheiden. BERND PICKERT