„Herr Stoiber ist für mich kein Partner“

Trotz Führungswechsel blieb beim Sudetentag in Nürnberg alles beim Alten: Der neue Vorsitzende Posselt will Vertriebene entschädigen – unterstützt wird er dabei von Stoiber. Doch Prag lehnt Gespräch mit Sudetendeutschen ab

NÜRNBERG taz ■ Ein Neuanfang hätte der 51. Sudetendeutsche Tag in Nürnberg werden können: Nach 18 Jahren trat Franz Neubauer am Samstag als Sprecher und Vorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft ab. Doch der Generationswechsel blieb aus: Neubauers Nachfolger, der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt, wandelt lieber auf ausgetretenen Pfaden. Der 44-Jährige, elf Jahre nach Kriegsende in Pforzheim geboren, forderte ein „Recht auf Heimat“ für die vier Millionen Vertriebenen.

Zuvor hatte Vorgänger Neumann ein letztes Mal seine Forderungen bekräftigt: Die Sudetendeutschen sollten Geld aus dem deutsch-tschechischen Zukunftsfonds erhalten. Ein EU-Beitritt Tschechiens sei erst möglich, wenn die so genannten Benesch-Dekrete aufgehoben seien, die nach 1945 Grundlage für Vertreibung und Enteignung der Sudetendeutschen waren.

Rückendeckung bekam Neumann von Bayerns Ministerpräsidenten Edmund Stoiber: „Die Benesch-Dekrete sind mit einer rechtsstaatlichen europäischen Ordnung nicht vereinbar.“ Die Entschädigung der Vertriebenen sei eine „humane Geste“. Der Bundesregierung warf er „Doppelmoral“ und „Geschichtslosigkeit“ vor.

Die 80.000 zumeist alten Zuhörer, zwischen Ständen mit „Altmühltaler Marionetten“ und „Böhmerwälder Trachten“, bedachten jedes Wort mit Beifall. Da störte auch nicht, dass die Reden seit Jahren gleich klingen: Die Entspannungspolitik der 70er-Jahre sei schuld daran gewesen, so Neumann, dass es keine Gespräche in der sudetendeutschen Frage gab.

Bei der traditionellen Totenehrung gedachten die Versammelten der „Landsleuten, die ihr Leben lassen mussten, nur weil sie Deutsche waren.“ Stille. Beim Wort „Deutsche“ zückten einige der Alten Taschentücher. Der Schmerz ist für die Sudetendeutschen längst zum einzigen Bindeglied geworden. Doch von den 73 Männern, die SS-Angehörige 1942 in Lidice bei Prag erschossen, und den Frauen und Kinder, die sie in Konzentrationslager deportierten, ist nicht die Rede. Auch wenn sich Lidice an diesem Wochenende zum 58. Mal jährt.

Freundlich hatten die rund 300 Zuhörer stattdessen Claudia Wiechmann begrüßt, bis Februar DVU-Fraktionschefin in Sachsen-Anhalt und heute Vorsitzende der Freiheitlichen Deutschen Volkspartei (FDVP), einer rechtsextremen Bewegung nach FPÖ-Vorbild. Auch der Vertriebenensprecher der Freiheitlichen, Martin Graf, hatte das Publikum bald auf seiner Seite. Schon 1997 hatte der Österreicher gefordert, „das deutsche Volkstum“ müsse sich wieder „frei in Europa entfalten können“, und auch in Nürnberg stellte er die FPÖ als einzig wahren Freund der Sudetendeutschen dar. „Ich wundere mich über die markigen Sprüche von CDU/CSU heute, weil man von ihnen bisher keine Ergebnisse gesehen hat.“ Die werde schon die FPÖ bringen. Schließlich hatte sie im Koalitionsvertrag mit der ÖVP festgehalten, das Vertriebenenproblem bei der Osterweiterung zu thematisieren: „Bestrafung der Täter durch ein internationales Tribunal, Respektierung der Eigentums- und Erbrechte.“

Solche verbalen Paukenschläge ließen schnell vergessen, was schon 1948 im Weißbuch der bayrischen Staatsregierung über die Vertreibung zu lesen war: Dass es sich bei den blutigen Übergriffen auf Sudetendeutsche im Juni 1945 um Einzeltäter gehandelt hat.

Auch kein Wort darüber, dass die Landsmannschaft seit 1989 gemeinsam mit dem tschechischen Partnerverband Jugendlager organisiert. Dass die Sudetendeutsche Jugend durch Austauschprogramme die Basis für „Demokratie, Toleranz und Völkerverständigung“ legen will.

Lieber sprach Graf davon, dass die Deutschen ihr Eigentum ordentlich bewirtschaften würden. „Das ist doch für Tschechen auch besser, als es an die Russenmafia zu verkaufen.“ Gastredner Stoiber war da vorsichtiger. „Forderungen sind das eine, die Forderungen umzusetzen das andere.“ Doch wenig später klingt er fast wie Graf: „Wenn man sieht, wie da die Gebäude verfallen, haben sich die Tschechen durch die Vertreibung selbst größten Schaden zugefügt.“ Der tschechische Ministerpräsident Milos Zeman wollte Stoibers Auftritt denn auch lieber nicht kommentieren. „Herr Stoiber ist für mich kein Partner, und ich sehe keinen Grund, warum ich mit ihm diskutieren sollte.“ Für Prag, so hieß es aus dem Außenministerium, bleibe die Bundesregierung der einzige Partner für einen bilateralen Dialog.

Den Sudetendeutschen dürfte ohnehin vor allem die Warnung Neumanns im Ohr geblieben sein: Für die Aufnahme Tschechiens in die EU sei die Zustimmung aller 15 Mitglieder notwendig. Den Satz wird sich auch FPÖ-Mann Graf gemerkt haben.

KONRAD LISCHKA

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