: Von Assad zu Assad
30 Jahre lang regierte Hafis al-Assad Syrien. 30 Jahre lang galt er als Herr über Krieg und Frieden in der Region. Jetzt erbt Sohn Baschar das Präsidentenamt
von THOMAS DREGER
Auch der nächste syrische Präsident wird al-Assad heißen. Zwar ist das Land Republik und keine Monarchie, aber die Erbfolge ist dynastisch geregelt: Nach dem Tod von Hafis al-Assad (69) am vergangenen Samstag wurde sein Sohn Baschar zum Nachfolger bestimmt. Dafür musste die Verfassung geändert werden: Jetzt kann man schon mit 34 Jahren – so alt ist Baschar – Staatschef sein und nicht mehr wie bisher erst mit 40. Nach Jordanien und Marokko ist Syrien das dritte arabische Land, in dem es in den letzten andertalb Jahren zum Generationswechsel an der Spitze gekommen ist.
Am Sonntag wurde Baschar, der eigentlich Augenarzt werden wollte, in London studiert hat und Chef der Syrischen Computer-Gesellschaft war, erst einmal zum Oberbefehlshaber der für die Macht im Lande wichtigen Armee ernannt. Am Ausgang der Präsidentschaftswahl, deren Ergebnisse in der Vergangenheit jeweils bei um die 98 Prozent lagen, gibt es keinen Zweifel. Die Trauernden in den Straßen der syrischen Hauptstadt Damaskus aktualisierten flugs die populäre arabische Allzweckparole und skandierten: „Mit unserem Leben, mit unserem Blut verteidigen wir dich, o Baschar!“
Der Tod Hafis al-Assads, der sich zum „Führer bis in alle Ewigkeit“ wählen ließ, kam überraschend, auch wenn der syrische Präsident seit Mitte der Achzigerjahre gesundheitliche Probleme hatte. Er starb – nach unterschiedlichen Darstellungen – beim Telefonieren an einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt.
Drei Jahrzehnte lang war er der unumschränkte Herrscher Syriens gewesen. Politische Opponenten fürchteten seine Brutalität. Seine Anhänger schätzten seine Arbeitswut und Intelligenz. Gegner in Israel, den USA und sonstwo auf der Welt achteten seine Rationalität und Verlässlichkeit.
Den Machterhalt wusste al-Assad sich zu sichern – um jeden Preis. „Hunderte“ bis „Tausende“ politische Gefangene registrierte amnesty international alljährlich in syrischen Gefängnissen. 1982 schlugen syrische Soldaten in der Stadt Hama einen von Muslimbrüdern ispirierten Aufstand nieder. Bilanz: zwischen 10.000 und 25.000 Tote – die meisten von ihnen mehr oder minder unbeteiligte Bürger.
Al-Assad wurde vermutlich am 6. Oktober 1930 in dem Bergdorf Kardaha als Bauernsohn und Angehöriger der aus dem schiitischen Islam entstandenen Geheimreligion der Alawiten geboren. Im Alter von 16 Jahren schloss er sich der „Arabischen Sozialistischen Baath-Partei“ an, die sich eine arabische Renaissance auf die Fahnen geschrieben hatte. Nach dem Abitur besuchte er die Militärakademie von Homs und setzte seine militärische Ausbildung in Moskau fort. Innerhalb der Partei wurde al-Assad Mitglied des 1960 geheim in Kairo gegründeten vierköpfigen Militärkomitees, das den Staatsstreich vom 8. März 1963 vorbereitete – die Machtergreifung der Baath-Partei. Al-Assad wurde Verteidigungsminister. Den arabisch-israelischen Krieg im Jahr 1967 erlebte er als persönliche Niederlage: Die Israelis eroberten die Golanhöhen. Seither setzte er alles daran, den Höhenzug zurückzuerlangen.
„Kurskorrektur“ nannte al-Assad in bester Orwell-Terminologie die eigene Machtergreifung im November 1970. Seine Widersacher kamen in Kerker, er selbst wurde Präsident. Al-Assad verpflichtete sich einer zunehmend ideologiefreien Machtpolitik. In den staatlichen Medien wurde Israel als „zionistischer Feind“ gegeißelt, insgeheim wurde die Aufteilung der Einflusssphäre im Libanon verhandelt: Israel kontrollierte bis Ende Mai seine so genannte Sicherheitszone im Süden des Landes, syrische Soldaten stehen bis heute in der Bekaa-Ebene. Jassir Arafat und Hafis al-Assad wurden Intimfeinde, der PLO-Chef hat in Syrien praktisch Einreiseverbot.
Militärisch lehnte sich Syrien an den Warschauer Pakt an und erhielt dafür aus Moskau Waffen- und Finanzhilfen in Milliardenhöhe. Doch al-Assad verlor das weltpolitische Geschehen nicht aus den Augen: Als der Zusammenbruch des Ostblocks nahte, verflüchtigten sich die sozialistischen Elemente aus der syrischen Staatsphilosophie. Stattdessen versuchte die Staatsführung, ausländische Investoren ins Land zu locken.
Zum Auftakt des Nahost-Friedensprozesses im Herbst 1991 in Madrid saß al-Assads Außenminister Faruk asch-Schara mit Israelis an einem Tisch. Zuvor hatten syrische Truppen im zweiten Golfkrieg an der Seite von US-Amerikanern gekämpft – gegen die Soldaten des rivalisierenden, ebenfalls im Namen der arabischen Baath auftretenden Saddam Hussein und gegen massive Opposition im eigenen Land, die sich jedoch dank der auf 50.000 Personen geschätzten GeheimdienstmitarbeiterInnen nicht an die Öffentlichkeit traute.
Al-Assad galt als Herr über Krieg und Frieden in der Region. In Jerusalem und Washington ging man davon aus: Würde al-Assad ein Friedensabkommen mit Israel unterschreiben, würde er es auch halten. Doch bis zu seinem Tod war kein solches Abkommen mit ihm zu erreichen.
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