Bedeutungsloses Pavillon-Gebimmel

■ Vier musikalische Uraufführungen sind bei der Expo geplant. Zum Auftakt gab es einen Abend zum Thema „Prometheus“, der verlief wie die Expo selbst: schleppend

Eindrucksvoll ist das musikalische Kulturprogramm der Expo 2000 in Hannover, weil der Leiter Peter Baumgardt ohne Rücksicht auf sowieso nicht definierbare Publikumsgeschmäcker immerhin 19 Kompositionsaufträge für Uraufführungen vergeben hat. Darüber hinaus wird es vier Porträtkonzerte geben, wobei die Komponisten Wolfgang Rihm, Hans Werner Henze, Aribert Reimann und Mauricio Kagel in Alter und Ansehen ja nun schon fast zu den Klassikern gehören. Die Uraufführungs-Reihen indes unterliegen jeweils einer thematischen Bindung – beispielsweise „Heimat“, „Klang-Bild“, „Ein Hauch von Unzeit“.

Der erste Abend dieser ambitionierten Reihe mit dem Titel „Prometheus“, die wie auch andere Konzerte die polnische Dirigentin Alicia Mounk konzipiert hat, hinterließ gemischte Gefühle. Der Mythos von der Revolte des Titanensohnes Prometheus, der den Menschen das Feuer bringt, sie – nach Aischylos – so liebt, dass er zu unendlichem Leid bereit ist, wurde für diesen Abend konzentriert auf die Kurzgeschichte von Franz Kafka, an deren Ende die Sätze stehen: „Die Sage versucht das Unerklärliche zu erklären. Da sie aus einem Wahrheitsgrund kommt, muss sie wieder im Unerklärlichen enden“.

Die vier KomponistInnen, die sich nun an die Arbeit setzten, kann man sich unterschiedlicher kaum vorstellen, was ein bereichernder Reiz des Abends war. Trotzdem drückte sich nachhaltig der Eindruck einer – gelinde gesagt – zeitknappen Vorbereitung aus, die auch eine professionelle Gruppe wie das Sharoun-Ensemble Berlin nicht einfach auffangen kann, schon mal gar nicht in Neuer Musik.

Und so war es auch nicht ganz leicht, Komposition von Interpretation zu trennen. Der 1955 geborene Nicolas Richter de Vroe nennt seine Partitur „Kafka-Aggregat“ und will, wie er sagte, fragen, „wie sich der Mythos eines Machers fortbewegt hat“. Sein Versuch, Alltagstexte hineinzunehmen, die vom Zynismus der Nadelstreifenmanager sprechen, wirkte vollkommen krampfhaft und auch am Thema des Prometheus vorbei.

Mag sein, dass die Wirkung plausibler ist, wenn zum Beispiel ein Marsch auch aggressiv erschlagend klingt oder dem Sprecher es gelungen wäre, eine ironische Komponente zu gestalten. So aber wirkte das Stück ohne Sinn. Auffällig war schon hier die riesige Gestik von Alicia Mounk, die keine Entsprechung in der klingenden Musik zu haben schien, die Dirigentin wurde sowieso kaum angeschaut.

Vollkommen ohne Kraft und von einer erschreckenden Beliebigkeit und Belanglosigkeit dann Peter Michael Hamels „Last Piece Sophrosyne“: „Ich möchte etwas Friedliches anbieten, eine utopische Innenwelt“, hatte er in der Einführung gesagt, eben „wieder im Unerklärlichen enden“. Damit kann man alles klingen lassen, Nachtwächter-Posaunenruf ebenso wie meditative Klangflächen. Dass das dann ein derart beliebiges Gebimmel wurde, war mehr als schade, sagte auch nichts zu Prometheus.

Sehr viel gekonnter das Stück „Prometheus“ von Hans-Jürgen von Bose, der zumindest einmal die Stufen der Kafkaschen Erzählung ernst nahm: Die Bedeutung des Mythos verliert sich immer mehr. Aber von Bose bedient Klischees noch und nöcher, nicht nur wenn am Ende die Musiker à la Haydns Abschieds-Sinfonie nach und nach die Bühne verlassen, nach Hause gehen, in die Heimat, wie der Sänger es mit größter Sentimentalität mitteilte. Das Gesamtergebnis ist eher lärmende Geschwätzigkeit.

Anders die in Bremen lebende Younghi Pagh-Paan, die sich von Kafka entfernt: „keine Interpretation, sondern Wahrheiten gehen weiter“. Das ist für sie „Io“, deren Begegnung mit dem gefesselten Prometheus Aischylos beschreibt und die ruhelos durch die Welt ziehen muss, weil Zeus in sie verliebt war. Das intensive und vibrierende Nachzeichnen der ruhelosen Suche in Pagh-Paans Partitur überzeugt ebenso wie die poetische Konstruktion aus vier verschiedenen sich überlagernden Deutungsgleichzeitigkeiten in Kafkas Text, in deren Zentrum der Akkordfluss des Ackordeons steht. Auch hier wirkte die Interpretation viel zu direkt, ohne die für diese Musik absolut erforderliche Horizontale mit ihren differenzierten Tempowechseln, ohne Geheimnis. Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Konzerte mit zeitgenössischer Musik im Deutschen Pavillon auf der EXPO Hannover sind: 17. Juni, 20 Uhr: Kompositionen zur „Winterreise“; 19. Juni: das Ensemble United Berlin unter der Leitung von Peter Hirsch; 7. Juli: „Ein Hauch von Unzeit“: Vogler-Quartett; 14. Juli: „Heimat“, vier Uraufführungen von Wilfried Hiller, Josef Anton Riedl, Minas Borboudakis und Wilhelm Killmeyer; 20 Juli: „Aventure“, Musiktheaterprojekt mit den Neuen Vokalsolisten Stuttgart und Werken von György Ligeti, Mauricio Kagel und B.A. Zimmermann