Konfrontation mit der Metaphysik

Die amerikanische Sängerin Chan Marshall alias Catpower zog bei ihrem Auftritt im Quasimodo das Publikum geradezu magisch in ihren Bann

Ist doch so: Konzerte, auf denen die Musiker es schaffen, die berühmte Gänsehaut auf dem Rücken auszulösen, sind immer die schönsten. Beim Konzert der amerikanischen Singer/Songwriterin Chan Marshall, die sich Catpower nennt und gerade mal 28 Jahre alt ist, stellte sich beim Publikum gar ein kollektives Erschauern ein. Hier kam eine scheu wirkende Sängerin, deren Gesicht fast das ganze Konzert lang hinter ihren langen Haaren versteckt blieb, einfach auf die Bühne und kehrte ihre ganze innere Zerbrechlichkeit nach außen. Es war schier unmöglich, sich dabei der scheinbaren Authentizität ihres Auftritts zu entziehen. Manchmal begleitete sie sich selbst am Klavier, meist aber stand sie seltsam verrenkt mit der Gitarre in der Hand da und sang.

In fast obszöner Weise zelebrierte sie dabei ihre eigene Unsicherheit. Immer wieder schweifte sie mit ihren Blicken umher, sah sich um, als wollte sie von irgendwoher Hilfe herbeiflehen, wirkt dann wieder wie betäubt, und hatte dabei doch ihr Publikum in einem Maße in ihren Bann gezogen, der geradezu magisch wirkte.

Vom ersten bis zum letzten Augenblick an diesem denkwürdigen Abend in dieser seltsamen Örtlichkeit, dem Jazzclub Quasimodo in Charlottenburg, erschien der ganze Raum wie eingefroren. Wie materialisiert lag die Spannung in der Luft, während dieses Mädchen da vorne mit ihrer sehnsuchtsvollen Stimme ihre ganze Melancholie und ihre ganzen Schmerzen aushauchte.

Wie bei den ähnlich autistisch wirkenden Songwriter-Genies Will Oldham von den Palace Brothers oder Bill Callaham von Smog bildeten auch bei ihr Ausstrahlung, Gitarren- und Klavierspiel sowie Gesang eine enigmatische Einheit. Die zittrig gegriffenen Akkorde wehten mit ihrer ganzen Brüchigkeit heran und klangen genau so wie sie waren, so herrlich unvollkommen und doch ergreifend schön, einfach perfekt.

Catpower wob bei ihrem Auftritt einen zusammenhängenden Teppich, bei dem sie ihre einzelnen Songs ineinander überfließen ließ. Ihre aktuelle Platte heißt „The Covers Record“, worauf sie unter anderem Stücke von Nina Simone oder Velvet Underground neu interpretiert und beispielsweise auch aus dem Rolling Stones’schen Cock-Rocker „Satisfaction“ eine leise Ballade gezimmert hat. Und mit überaus gelungenen Coverversionen glänzte sie dann auch auf dem Konzert. Es gab unter anderem Klassiker wie „Salty dog“, „Sea of love“ oder „Knocking on heaven’s door“ zu hören.

Man hörte im Vorfeld dieses Konzerts immer wieder, dass Catpower oftmals nach einer halben Stunde schon wieder die Bühne verlassen würde. Wenn sie keine Lust mehr zum Spielen habe, würde sie ihre Beine in die Hand nehmen und ein Konzert einfach beenden.

Im Quasimodo aber gab sie ein eineinhalbstündiges Konzert und verabschiedete sich erst dann mit den treffenden Worten: „I’m tired now“. Schön für uns Zuhörer.Es war heiß an diesem Konzertabend, und auch im Quasimodo war es kollapsverdächtig schwül. Doch nicht deswegen fühlte man sich nach dem Auftritt von Catpower so benommen. Vielmehr lag es wohl daran, dass man soeben mit etwas Metaphysischem konfrontiert worden war, mit einer Sängerin aus einer anderen Welt, die für die Dauer eines langen Augenblicks ihre Seele gleichzeitig vehement verbarg und sie doch bereitwillig enthüllte.

Danach, als alles vorbei war, stand Catpower noch für einen Moment draußen vor dem Club. Sie hatte ihre Gitarre in einer schwarzen Hülle einfach umgehängt und blickte wie vorher auf der Bühne seltsam entrückt umher. Und plötzlich war sie verschwunden. ANDREAS HARTMANN