Der gestiftete Traum

Die Debatte um die Hauptstadtkultur hat die Idee einer „Nationalstiftung“ aus der Versenkung geholt. Jetzt streiten sich Staatsminister und Vorsitzende des Kulturausschusses um das Modell

von RALPH BOLLMANN

Der Staatsminister war über den Vorstoß alles andere als amüsiert. „Ein klassischer Ausdruck der politischen Privilegien eines Bundestagsabgeordneten“, giftete Michael Naumann (SPD) letzte Woche über den Vorschlag seiner Parteifreundin Elke Leonhard, eine Nationalstiftung für Kultur und Medien zu gründen. Die Vorsitzende des Bundestags-Kulturausschusses sei „ohne Rücksprache mit der SPD-Fraktionsspitze, ohne auch nur einen Abstimmungsversuch mit dem Fachminister“ vorgeprescht.

Womöglich ist der Mann nur eingeschnappt, weil sich die Stiftungsidee nun plötzlich mit Leonhards Namen verband. Dabei hatte Naumann selbst schon im Februar die Gründung einer Bundeskulturstiftung angeregt: als „Feuerwehrtopf“ für Projekte jenseits des regulären Haushalts. Die befindet sich seither „in behördeninterner Vorbereitung“.

Immerhin: Das Projekt einer Bundesstiftung für die Kulturförderung, von Willy Brandt in seiner Regierungserklärung 1973 noch als „Traum“ in die Debatte geworfen, wird wieder diskutiert. Denn spätestens nach dem Rücktritt der Berliner Kultursenatorin Christa Thoben (CDU) war klar, dass der Stadtstaat seine Kulturlandschaft mit drei Opernhäusern, fünf Theatern und einer vielfältigen Off-Szene nicht alleine bezahlen kann.

Der Bundeszuschuss für diese Einrichtungen von rund 100 Millionen Mark pro Jahr, anfangs in den Provinzhauptstädten argwöhnisch beäugt, wird inzwischen von niemandem mehr in Frage gestellt – solange der Bund nur das Geld gibt und keine zusätzlichen Kompetenzen beansprucht. Bloß kein Systemwechsel in der Kulturpolitik, lautet die Parole der Landesregierungen. Eine Kulturstiftung des Bundes für Berlin, glaubt Bayerns Kunstminister Hans Zehetmair (CSU), stünde „in krassem Gegensatz zu unserem föderalen Kulturverständnis.“

Dass eine Stiftung speziell für Berlin nicht durchsetzbar wäre, ist allen Beteiligten längst klar. Deshalb soll die Leonhardsche „Nationalstiftung“ auch nur in den ersten Jahren ihre besondere Aufmerksamkeit auf Berlin richten. Mit ihrem Modell hat die Politikerin Größeres vor. Denn der Kulturbetrieb ist allerorten belastet. Vor allem die ostdeutschen Länder sind allein mit der Sanierung ihrer in Jahrzehnten vernachlässigten Bausubstanz völlig überlastet. Aber auch das reiche Bayern hat Ansprüche angemeldet. Zwar bekundet Minister Zehetmair bei jeder Gelegenheit stolz, „dass Bayern seine Kultur selber bezahlt“. Wenn es aber um die geplante Gedenkstätte auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände oder die Unterhaltung des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau geht, ruft auch der CSU-Politiker nach dem Scheck aus Berlin.

Leonhard hat durchrechnen lassen, was es kosten würde, den bundesdeutschen Kulturbetrieb inklusive der auswärtige Kulturpolitik, von den Goethe-Instituten bis zum Akademischen Austauschdienst, aufzumöbeln: Rund 2,5 Milliarden Mark jährlich könnte eine „Nationalstiftung“ gut und gerne unter die Kulturschaffenden bringen. Dafür bräuchte sie – bei konventioneller Geldanlage mit Renditen um die fünf Prozent – ein Stiftungskapital von 50 Milliarden Mark, das Finanzminister Hans Eichel (SPD) als „Zukunftsinvestition“ aus dem Verkauf der Mobilfunk-Lizenzen erübrigen soll. Das Kapital bleibe als „geistige Immobilie“ künftigen Generationen erhalten, betont Leonhard.

Die Vorstellung, die „addierten Jahresetats mehrerer kleiner Bundesländer“ in einer solchen Stiftung zu versenken, findet Staatsminister Naumann wenig realistisch. „Es muss erlaubt sein, dass Parlamentarier selbstständig nachdenken“, hält die Abgeordnete dagegen. Es gehe darum, bei den Lizenzgeldern überhaupt „als Kulturpolitikerin einen Fuß in die Tür zu stellen“.

Genüsslich beobachtet unterdessen die Opposition, wie sich „zwei exponierte Vertreter ein und derselben Koalition einen Überbietungswettbewerb liefern“, so der CDU-Abgeordnete Norbert Lammert. Naumann und Leonhard könnten mit großen Worten und finanziellen Ansprüchen aufwarten, nicht aber mit einem Konzept: „Konkret verbindet sich damit gar nichts.“

Naumann weiß: Irgendetwas wird am Ende herauskommen müssen, will er nicht seinen Ruf als Ankündigungsminister festigen. Anknüpfen kann er dabei an die Debatte um Brandts „Nationalstiftung“: Nach 15-jährigen Verhandlungen hatten sich Bund und Länder 1988 darauf geeinigt, eine „Kulturstiftung der Länder“ zu gründen. Sie kauft Kunstschätze an, die von Abwanderung ins Ausland bedroht sind. Finanziert wird sie von den Ländern, der Bund hilft mit projektgebundenen Zuschüssen, auch private Sponsoren sitzen im Boot. Ganz so, wie sich Leonhard die künftige „Nationalstiftung“ vorstellt – mit nur einem kleinen Unterschied: Bislang kann die Kulturstiftung der Länder im Jahr nicht einmal ein Hundertstel der erhofften 2,5 Milliarden Mark ausschütten.