„Der Schwanz ist so, wie er ist“

In Frankreich sorgte „Romance“ bereits für heftige Debatten. Jetzt kommt Catherine Breillats pornografischer Diskursfilm bei uns ins Kino. Mit einer Heldin, für die sexuelle Erfahrung zum Erweckungserlebnis wird. Ein Gespräch über masochistische Initiation, den Sinn von Tabus und das Sakrale am Sex

taz: „Romance“ erzählt die Geschichte einer Frau, die von ihrem asexuell wirkenden Geliebten nicht befriedigt wird und die über diverse Männerbekanntschaften zu sich selbst findet. Aber Ihr hoch stilisierter Film ist alles andere als eine realistische Beziehungsgeschichte . . .

Catherine Breillat: Für mich ist es eine Abenteuerreise, eine Initiation und die Geschichte einer Suche nach sexueller Identität. Dafür muss man alles zerstören. Alles, das uns so geformt und konstruiert hat, wie wir sind. Man muss den gefährlichen Weg gehen, und diesen Weg beschreitet mein Film, denn welcher Weg könnte gefährlicher sein als der sexuelle? Er macht uns Angst, weil er uns in unbekannte, peinliche, angstbesetzte Gefilde führt, in denen wir uns schämen. Auch wenn wir alle glauben, uns dort sehr gut auszukennen (lacht).

Sie haben bisher sieben Filme gedreht. In allen suchen Sie nach einer Form für die Darstellung von Sexualität. Was fasziniert sie daran?

Mich hat schon immer das Geheimnis der physischen Liebe fasziniert. Was mich daran interessiert, ist das Überwältigtsein, das sich auf den Gesichtern spiegelt: das Gesicht der Menschen, das sich bei der Lust verändert, diese innere Erleuchtung fast wie bei Heiligenbildern. In der religiösen Malerei hat man immer wieder versucht, dieses heilige Licht darzustellen. Als Regisseur kann man es festhalten, indem man zum Beispiel das verzückte Gesicht einer Schauspielerin filmt, das sich von innen erhellt. Wenn man verliebt ist, sagen einem alle, dass man leuchtet. Genau dieses Licht interessiert mich, denn dadurch bekommt die physische Liebe etwas Transzendentes, Heiliges. Dafür wollte ich die „heiligen“, alchimistischen Farben der Bilder von Georges de La Tour. Maries Körper sollte weißglühend erscheinen, dazu brauchte ich ein ganz bestimmtes Licht. Ohne die Farben und das Licht bliebe das alles auf einer Sex-Shop-Ebene.

Das hört sich sehr vergeistigt an, andererseits gibt es in Ihrem Film auch ganz klar pornografische Szenen. Wie grenzen Sie sich von der herkömmlichen Pornografie ab?

Sie präsentiert uns die physische Liebe als etwas notwendigerweise Demütigendes. Natürlich ist es nicht verboten, den Sexualakt zu filmen, aber es gibt ein implizites Verbot, ihn anders als ein peinliches, letztlich masturbatorisches Begehren zu zeigen. Pornofilme werden gemacht, damit man sich davor einen abwichsen kann, nur darum geht es.

Das hat aber doch auch seinen Sinn und seine Richtigkeit, oder?

Das Problem ist nur, dass der Sex vollständig vom Gedanken abgekoppelt ist. Man sagt uns: Seht euch diese abstoßenden Bilder an. Jemand, der Anstand hat, zeigt so was nicht. Für mich existieren diese Bilder nicht als eigentliche Bilder. Was das Kino zu einer Kunst macht, ist die Tatsache, dass seine Bilder einen Gedanken bzw. ein Gefühl transportieren. Kino heißt, einem Bild Sinn bzw. eine Seele zu verleihen und nicht einfach nur ein Bild zu filmen. Ein Kino mit diesem Selbstverständnis muss auch der sexuellen Beziehung eine Seele geben, denn jede sexuelle Beziehung funktioniert auch auf einer geistigen Ebene. Sie ist der Ort der Projektionen, der libidinösen Transfers. Und das Kino endet ja nicht mit dem Bildausschnitt, man erlebt und fühlt weit darüber hinaus. Der Porno beschränkt sich allein auf den Bildausschnitt, der rein organisch und ohne jeden Gedanken ist.

Hat Nagisa Oshimas „Im Reich der Sinne“ für Ihre Arbeit eine Rolle gespielt?

Er ist meine wichtigste Kinoreferenz. Er war der Erste, der gezeigt hat, dass Pornografie nicht abstoßend sein muss, dass sie durchaus Bestandteil einer höheren Kinoidee sein kann. Dieses Tabu endlich zu überschreiten, muss enormen Mut erfordert haben.

Andererseits ist es ja gerade das Bewusstsein des Tabus, das die Darstellung der Sexualität erst interessant macht.

Das Tabu ist die Tür zur Initiation. Religion, Gesellschaft und Gesetz versuchen den Sex aber permanent zu degradieren und zu animalisieren. Für sie bedeutet das Tabu Schrecken, Scham, Strafe. Dabei ist das Tabu etwas ganz anderes. Es bedeutet den Eintritt in eine magische Ordnung, mit dem Tabu ist die menschliche Sexualität nicht mehr trivial, nicht mehr das reine Aneinanderreiben der Geschlechter aus einem Sexual- bzw. Fortpflanzungstrieb. Erst mit dem Tabu bekommt die Sexualität eine mentale, symbolische Ebene.

Denken Sie bei der Assoziationskette Tabu, Schrecken, Scham, Strafe an Michel Foucault?

Kein anderer hat so präzise analysiert, wie die Sexualität zum Machtinstrument verbogen wurde. Letztlich bedeutet eine ausgefüllte Sexualität ja, dass man sich in Harmonie mit sich selbst befindet. Und ausgeglichene Menschen sind nicht unbedingt die am besten zu regierenden. Die Menschen von ihrer Sexualität zu entfremden, ihnen Scham einzuimpfen, sie in eine rein konsumistisch orientierte, auch gewalttätige Sexualität zu treiben, gehört zur mafiösen Struktur der Macht. Wenn sie sich zum Beispiel die Strafen für Vergewaltigung und Ähnliches ansehen, dann sind sie viel milder als die gegen Eigentumsvergehen.

In der Sexszene mit dem Pornodarsteller Rocco Siffredi sagt die Off-Stimme der Heldin: „Ich verschwinde proportional zum Schwanz, der in mich eindringt.“ Ist das ein Kommentar zur weiblichen Unterwerfung?

In diesem Stadium ist Marie noch von der Idee der völligen Selbstaufgabe überzeugt. Sie sucht die Lust in der Erniedrigung, was ja eigentlich die Perversion der Lust bedeutet. Es geht beim Sex ja nicht darum, dass der eine völlig verschwindet, es geht um eine Vereinigung. Die Gesellschaft hat daraus eine einseitige Machtausübung gemacht, schon semantisch: Der Mann nimmt die Frau und besitzt sie. Das Gleiche geschieht aber auch umgekehrt. Und genau das zeigt diese Szene: Ein Mann dringt in eine Frau ein, die ihn aber wiederum besitzt. Vor diesem Machtaustausch haben viele Männer Angst. Eine Angst, die durch Triebhaftigkeit und Herrschsucht nur überdeckt wird. Ihre äußere Dominanz und Stärke ist letztlich eine Schwäche, eine Illusion.

Das hört sich ein bisschen nach Differenzfeminismus an. Sind Sie dogmatisch?

Nicht dogmatisch, aber respektlos. Meistens hat man viel zu viel Respekt vor den Schwänzen, die Männer werden ja geradezu beschützt. Sie haben ein wirkliches Problem mit ihrer Männlichkeit. In Frankreich sagt man den kleinen Jungs heute noch, dass sie wirkliche Männer werden müssen: Sei ein Mann. Was bedeutet, dass sie es nicht sind. Man impft ihnen ein, dass sie sich mit ihrem Geschlechtsorgan identifizieren müssen, mit ihrem erigierten Geschlecht. Nun ist es aber nun mal nicht immer erigiert. Was zum Gefühl des Scheiterns führt, zum Gefühl, kein richtiger Mann zu sein. Dieses Scheitern müssen die Frauen bezahlen. Warum also soll man sich über dieses siegreiche, große, tolle, erigierte, ritterliche männliche Geschlecht nicht auch ein bisschen lustig machen? Es gibt eben nicht nur dieses eine, sondern viele unterschiedliche, die auch im erigierten Zustand nicht immer nur bewundernswert sind. Der Schwanz ist so, wie er wirklich ist. Und wenn man einen Mann liebt, dann liebt man ihn, ob er nun alt oder jung, schön oder hässlich ist. Und man wird ihn auch lieben, wenn er da unten keinen Obelisken hängen hat.

Warum haben Sie eigentlich Roberts fetischistische Fesselungen zum Erweckungserlebnis für Ihre devote Heldin gemacht?

Das Ganze ist natürlich eine Gratwanderung auf Messers Schneide – der gefährliche Weg eben. Denn sie könnte diese Erfahrung auch als Initiation in den Masochismus verstehen. Das funktioniert wie eine Impfung. Freud hat zwar gesagt, dass man ein Fantasma nie durch seine Verwirklichung heilt, aber ich glaube, er hat da völlig Unrecht. Die Verwirklichung kann durchaus zu einer initiatorischen Befreiung führen.

Weshalb eigentlich bedienen Sie sich bei Ihrer Befreiungsgeschichte an der klassischen, vor allem von Männern geprägten Ikonografie der Weiblichkeit: Heilige, Hure, Mutter?

Um diese Muster umzudeuten, neu zu lesen, mit ihnen zu spielen.

Aber am Schluss sagt Ihre Heldin ziemlich ernsthaft den Satz: „Eine Frau ist keine Frau, bevor sie Mutter ist.“ Ist das auch Ihre Ansicht?

Ja und nein. Die Frauen wurden ja lange genug dafür verachtet, dass man die Mutterschaft nur biologisch definierte: Mutterkühe eben. Die Frau setzt ein Fleischpaket in die Welt, das vom Vater erzogen wird. Er ist die spirituelle Mutter, die dem Kind ja auch den Namen gibt. Ich wollte damit sagen, dass die Frau auch Leben gebiert, Leben gibt und dass damit auch ein Gefühl für die Ewigkeit entsteht. Das Leben geht weiter. Man setzt etwas in die Welt, das man kaum kennt und sofort mehr als sich selbst liebt. Das ist kein Verdienst der Frauen, und ich will das auch nicht verklären, aber ich finde, man sollte uns auch nicht dafür erniedrigen, nur weil die andere Hälfte der Menschheit sich ärgert, weil sie diese Erfahrung nicht machen kann. Ich gebe zu, dass ich da in meinem Film ziemlich dick auftrage: Die Geburt als größter Liebesakt der Welt, als philosophischer Inzest, als alchimistisches Ereignis, als Geburt der Welt, so wie ja auch Courbet den Ursprung der Welt zwischen den Beinen der Frau sieht: das schwarze Loch des Universums, aus dem wir kommen und in das wir gehen.

INTERVIEW: KATJA NICODEMUS