Tränenregen in Damaskus

Eine Million Syrer geben ihrem Präsidenten al-Assad das letzte Geleit. Unter den trauernden Politikern ist auch Intimfeind Arafat. Assad-Bruder beansprucht Nachfolge

DAMASKUS dpa/ap ■ Knapp eine Million Syrer haben sich gestern von ihrem verstorbenen Staatsoberhaupt Hafis al-Assad verabschiedet. Ein riesiges Polizeiaufgebot schützte den Trauerzug vor der teilweise hysterischen Menge. Vielfach brachen Menschen in der glühenden Hitze zusammen. In Sprechchören hieß es: „Gott ist groß, und Assad ist sein Liebling.“ Auch zahlreiche Staatschefs und Regierungsvertreter aus aller Welt gaben dem „Löwen von Damaskus“, der seit 1970 an der Macht war, das letzte Geleit. Der Sarg wurde anschließend in Assads Heimatdorf Kardaha überführt.

Im Volkspalast kondolierten fünf Stunden lang arabische Staatschefs und westliche Spitzenpolitiker. Auch Assads Intimfeind, Palästinenserpräsident Jassir Arafat, war unter den Trauernden. Arafat wurde von keinem syrischen Regierungsmitglied empfangen. Nach vier Küssen auf die Stirn sprach Assads Sohn Baschar dann doch noch überraschend mit Arafat.

Als einziger westlicher Staatschef nahm Frankreichs Präsident Jacques Chirac an der Zeremonie teil. Deutschland wurde von Außenminister Joschka Fischer vertreten. Präsidentensohn Baschar, der seinem Vater nachfolgen soll, traf sich erstmals mit ranghohen Politikern. Er versicherte US-Außenministerin Madeleine Albright, den Kurs seines verstorbenen Vaters beizubehalten. Ebenso wie Assad werde er sich für weitere Verhandlungen mit Israel einsetzen, sagte er Albright zu.

Damit Assads Sohn Baschar die Nachfolge übernehmen kann, hatte das syrische Parlament extra die Verfassung geändert und das Mindestalter für den Präsidenten auf 34 Jahre herabgesetzt. Unterdessen erhebt Assads jüngerer Bruder Rifaat aus dem Exil Ansprüche auf das Präsidentenamt und hat Putschabsichten signalisiert. In einer Erklärung kündigte der 63-Jährige eine „korrigierende Bewegung für einen neuen Kurs auf politischer, sozialer und wirtschaftlicher Ebene“ an. Er wolle sich für ein Ende der autokratischen Herrschaft in Syrien einsetzen, so Rifaat. Der lebte seit einem Putschversuch 1983 überwiegend im Ausland, obwohl ihn der Präsident 1984 zu einem seiner Stellvertreter ernannte. 1998 enthob Assad seinen Bruder jedoch endgültig seines Amtes und entfernte ihn aus der Führungsriege der regierenden Baath-Partei.