La nuit américaine

Weder das Mädchen, noch das Geld: Das Metropolis widmet sich mit einer Reihe dem alten und neuen Film Noir  ■ Von Tobias Nagl

Eine tiefschwarze Nacht sollte irgendwann über den silver screen hereinbrechen. Eine bis dahin ungeahnte Sensibilität erfasste das amerikanische Kino, dessen pessimistischen Untertöne die männlichen Protagonisten gerne zur Halbzeit bereits schon mal zu Boden gehen und sich bis zum Ende kaum mehr wirklich aufrappeln lassen sollte. Zu gewinnen gab es nichts mehr: weder das Mädchen noch das Geld. Wenn diese Geschichten überhaupt ein Ende hatten, das so etwas wie einen Sinn machte, dann war es ganz sicher nicht happy. Mit Vorliebe erzählten diese Filme sich rückwärts; gelegentlich sogar von jenseits des Grabes wie Billy Wilders Sunset Boulevard. Die Schwierigkeit der Erinnerung war jedem der aus dem Off gesprochenen Kommentare anzumerken; sonderlich vertrauenswürdig waren sie so wenig, wie die femmes fatales, Versicherungsagenten,Jazzmusiker oder Kleinkriminellen, die diese Welt bevölkerten. Wenn überhaupt Licht in diese Welt der universalisierten Unsicherheit fiel, dann nicht kalifornisch-pastellfarben, sondern vielfach gebrochen durch Jalousien, Fensterläden oder Ventilatoren, als sollte es die innere Verfassung seiner geschundenen männlichen Protagonisten und die Zerstörung des bürgerlichen Heims abbilden. „Expressionistisch“ fällt Kritikern dazu gerne ein. Ganz falsch ist das nicht, tummelten sich doch nicht gerade wenig deutsche Exilanten im amerikanischen Kino dieser Zeit.

Und doch hört diese Nacht auf einen französischen Namen: Noir. Getauft wurde sie außer Landes, als sie gerade von Leinwänden der Heimatfront wieder verschwand. Erkennen können wir sie leicht, klar definieren bis heute kaum anders denn als eine heimliche Moderne, von der Hollywood nichts wusste. Existiert hat sie in ihrer Zeit weder als Stil noch Genre, und die durchaus psychoanalytisch zu verstehende Nachträglichkeit der Namensgebung mag bestätigen, dass es sich, wenn nicht um ein Trauma, doch um einen blinden Flecken innerhalb des großen Erzählparadigma Hollywood handelt.

Manche haben die paranoiden Strukturen des film noir als Ausdruck einer krisengeplagten Maskulinität der (Nach-)Kriegszeit gedeutet. Sicher nicht zu Unrecht. Das Einzige, was sich jedoch mit Sicherheit über den Begriff selbst sagen lässt, das ist, dass er im August 1946 zum ersten Mal von französischen Kritikern verwendet wurde, um fünf amerikanische Kriegs- und Nachkriegsproduktionen zu beschreiben, die im Sommer des Jahres in Paris zu sehen gewesen waren: The Maltese Falcon, Double Indemnity, Laura, Murder, My Sweet und – etwas überraschend, weil später nie wieder in diesem Zusammenhang erwähnt – das Alkoholikerdrama The Lost Weekend. Der Name selbst rührt von der série noire her, in der im renommierten Verlagshaus Gallimard literarische hard-boiled fiction wie Hammett, Cain, Woolrich oder Chandler erschienen war, auf der zumindest ein Teil der Filme basierte.

So gesehen habe die Franzosen den film noir erfunden: Im Gegensatz zu den USA besaß das Nachkriegsfrankreich eine relativ sophisticatete, intellektuelle Filmkritik und -kultur, die das Kino schon immer als Kunst wertgeschätzt hatte, und der Amerikanismus blühte an allen Ecken wieder auf. Aus dieser permanenten Dialektik von Europa und Amerika sollte später die nouvelle vague entstehen, aber vielleicht erinnerten die „schwarzen“ Hollywood-Filme die Franzosen auch einfach nur an die goldene Zeit der Volksfront-Thriller wie Pépé le Moko oder Le jour se lève, die von der Rechten bereits in den 30er Jahren als zu noir gebranntmarkt worden waren.

Ein Wiedersehen mit einigen klassischen, aber auch einige Neo-Noirs gibt es nun im Metropolis. Den Auftakt macht Billy Wilders Double Indemnity, nach eigenen Angaben gedreht „to out-Hitchcock Hitchcock“. Auch das vielleicht eine weiteres Mosaiksteinchen der Noir-Genealogie. Barbara Stanwycks Treppenszene ist legendär – so auch Wilders Vision einer amour fou, die allein in einer heimatlosen Welt spätkapitalistischer Zirkulation stattfindet. Für das masochistische Noir-Gerschlechterverhältnis gibt es kaum ein deutlicheres Exempel als Robert Siodmaks The Killers mit Burt Lancaster und Ava Gardner als Dreamteam der Verdammnis. Premingers Laura ist visuell weitaus heller, stellt das chercher la femme in sein narratives Zentrum – und enthält eine der deutlichsten homosexuellen Rollen des Studiosystems.

Dass es Zitate ohne klaren Referenten geben kann, machen nicht zuletzt die „Neo-Noirs“ Black Widow, Reservoir Dogs und Blood Simple klar. Sie alle nehmen frei flotttierende Motive des klassischen Noirs auf – aber auch andere. Tarantinos Reservoir Dogs stellt so dreist minutenlang Action-Sequenzen aus Ringo Lams City On Fire nach, aber inzwischen spricht man ja nicht nur von „Cyber Noir“ oder „Tech Noir“, sondern selbst von „Hongkong Noir“. Denn Noir ist zunächst eben nur eins: ein Wort aus dem Französischen.

Double Indemnity: Sa, 17.6., 19 Uhr + So, 18.6., 19 Uhr + Mo, 19.6., 17 Uhr + Di, 20.6., 17 Uhr; The Killers: Di, 20.6., 19 Uhr + Mi, 21.6., 21.15 Uhr + Fr, 23.6., 17 Uhr Black Widow: Di, 20.6., 21.15 Uhr + Mi, 21.6., 19 Uhr + Do, 22.6., 17 Uhr Laura: Mi, 21.6., 17 Uhr + Di, 27.6., 19 Uhr + Do, 29.6., 17 Uhr Reservoir Dogs: Mo, 26.6., 17 Uhr + Di, 27.6., 21.15 Uhr Blood Simple : Mi, 28.6., 17 Uhr + Do, 29.6., 19 Uhr + Fr, 2.7., 21.15 Uhr