Abgetropft am Zementblock

Nach der 0:1-Niederlage gegen abwehrstarke Norweger suchen die wenig inspirierten Spanier und ihr Trainer in Ausreden Zuflucht: der Schiedsrichter war schlecht, der Gegner zu defensiv

aus Rotterdam RALF MITTMANN

José Antonio Camacho ist immer zum verbalen Schnellschuss bereit. Nach dem 0:1 gegen Norwegen war Schiedsrichter Gamal El Ghandour die Zielscheibe des spanischen Nationaltrainers. „Er hat uns einen klaren Elfmeter nicht gegeben“, schimpfte Camacho und gab damit dem Pfeifenmann aus Ägypten die Schuld am Fehlstart seines Teams in die Euro 2000. Schlecht sei El Ghandour gewesen, „nicht würdig, ein solches Spiel zu leiten“, weil er nicht die Klasse der europäischen Schiedsrichter habe.

Ärgerlich auf seine müden Kicker war Camacho offiziell nicht. „Warum?“, sagte er, „wir haben das Spiel dominiert, wir haben Chancen herausgespielt, nur der Ball wollte nicht ins Tor. Wir hatten Pech, die Norweger Glück.“

So bildeten am Dienstagabend Spieler und Trainer der spanischen Nationalmannschaft eine echte Einheit. Schlecht gespielt, schlecht beobachtet, schlecht gesprochen. Monsieur El Ghandour war nämlich keineswegs eine schlimme Pfeife, die in böser Absicht oder auch nur aus dummem Zufall die Norweger übervorteilte. Die Wahrheit ist eine andere: Die hoch gelobten und in den Favoritenstand erhobenen Iberer fanden keine tauglichen Mittel, den variablen menschlichen Zementblock zu überwinden, der die norwegische Verteidigung bildet.

Vier Torchancen in 90 Minuten, das ist eine lächerliche Ausbeute; selbst die vorwiegend mit der Organisation ihres Bollwerks beschäftigten Norweger kamen ja auf drei. Und sie machten daraus auch das entscheidende Tor durch Iversen. Dass dabei der spanische Schlussmann Francisco Molina eine katastrophale Figur abgab, dürfte dem Wikinger egal gewesen sein. „Es war ein leichtes Spiel für uns“, grinste Rune Bratseth, der 39-jährige Manager von Rosenborg Trondheim, lange Jahre als exzellenter Verteidiger in Diensten von Werder Bremen.

Nach Selbstkritik war den Spaniern nicht zu Mute. Sie hatten ihren Sündenbock und fanden zudem Gefallen daran, die gewiss destruktive Spielweise des Gegners aufs Korn zu nehmen. „Wenn die etwas gemacht hätten“, sagte Josep Guardiola, „dann hätte es ein gutes Spiel werden können.“ Zu seiner eigenen desolaten Leistung wollte der Mittelfeld-Regisseur des FC Barcelona natürlich nichts sagen. In purer Selbstgefälligkeit ergingen sich die Spanier, und so wird gewiss ja noch alles gut werden. „Wir haben noch zwei Spiele, die werden wir gewinnen und ins Viertelfinale kommen“, erklärte Guardiola.

Irritiert nahmen Spaniens Medienvertreter die Aussagen zur Kenntnis. Einige waren sogar richtig entsetzt, vor allem über den Trainer. Da hatte man diesen Camacho als kritischen Geist kennen gelernt, als ganzen Kerl, der vor harten Entscheidungen nicht zurückschreckt, der auch gegenüber der Öffentlichkeit der Wahrheit die Ehre gibt, statt zu sülzen. Und nun verhält er sich in der Niederlage exakt so, wie es sein Vorgänger Javier Clemente immer getan hatte. Beschwichtigen, schönreden, die Schuld bei anderen suchen.

Und dünnhäutig ist Camacho auch geworden in diesen Tagen in Holland. Als bei einem Pressegespräch im Trainingslager in Tegelen ein italienischer Journalist die Frage stellte, warum Real-Stürmer Morientes nicht nominiert worden sei, ein Angreifer, der in der Squadra Azzurra einen Stammplatz haben würde, da ist der Trainer fast ausgeflippt. Nichts werde er dazu sagen, und für den Fall, dass solche Fragen weiter aufkommen sollten, müsse er in Erwägung ziehen, ausländischen Medienvertretern künftig keinen Zugang mehr zu gewähren zum Equipo de España.

Wenn Camachos Team noch zwei Mal so auftritt wie gegen Norwegen, dann erledigt sich dieses Problem allerdings von selbst.

Spanien: Molina - Salgado, Hierro, Paco, Aranzabal - Etxeberria (72. Alfonso), Guardiola, Valerón (80. Helguera), Fran (72. Mendieta) - Raúl, UrzaizNorwegen: Myhre - Heggem, Berg (59. Eggen), Bragstad, Bergdölmo - Iversen (90. Riseth), Eirik Bakke, Skamelsrud, Mykland, Solskjaer - Flo (70. Carew) Zuschauer: 40.000