kikkerballen
: Schwierigkeiten beim Begucken des Fernsehers

Being Lothar Matthäus

Eröffnungsspiel, ja, Eröffnungsspiel. Die sind immer langweilig, das weiß man doch. Und wenn schon die Oma den uns allzu gut bekannten knapp Zweijährigen hüten will, dann sollte man lieber ins Kino gehen, zumal wenn man „Being John Malkovich“ noch nicht gesehen hat. Der Film ist ja aus, ehe das Spiel vorbei ist. Doch, ein bisschen kann man bestimmt noch sehen, und das ist beinahe so viel wie das Ganze.

Früher haben wir immer alles gesehen, früher. In der Kneipe nach dem Kino teilen wir einen Raum von Tanzsaalgröße mit einem Fernseher und zwei Kellnerinnen. Vernünftige Leute, die wissen, dass Eröffnungsspiele immer langweilig sind, sitzen draußen im lauen Sommerabend und halten den Koch auf Trab, den einzigen Menschen im Umkreis von fünfzig Metern, der das Spiel wirklich sehen möchte. Schnaubend und stöhnend hüpft er aus der Küche hervor, immer gerade dann, wenn das Spiel besonders langweilig ist. Mit dem Schlusspfiff schaltet die Kellnerin ab und nuschelt Richtung Küche: „Ich glaube, die Roten haben gewonnen.“ Der Koch bricht hinter dem Herd zusammen vor soviel Ignoranz.

Ich überlege derwall, nee, derweil, ob der gerade gesehene Film auch genausogut „Being Lothar Matthäus“ heißen könnte. Ob es Leute gibt, die Schlange stehen würden, um fünfzehn Minuten durch die Augen von Lothar Matthäus sehen zu können. Für Oliver Bierhoff tun sie das jedenfalls, und man nennt sie Journalisten. „Herr Bierhoff, was lesen Sie gerade?“ „Das Schwarzbuch des Kommunismus“, fährt der Kapitän einen blitzschnellen Konter, setzt aber auch ungefragt nach, dass es sich um schwierige Lektüre handele – wahrscheinlich für den Fall, dass sich jemand erkundigt, was denn da so drinsteht. Lieber hätte ich, wenn ihn jemand fragen würde, ob ihn der Wälzer auf dem Platz und im Leben weiter bringt. Die wirklich interessanten Dinge zeigen sie aber in der Zeitung und im Fernsehen nie.

Auf dem Bildschirm bekomme ich dafür, kaum zwei Spiele später, einen exzellenten Kursus „Geplatzte Augenlider noch am Spielfeldrand wieder flicken“ serviert. In Großaufnahme. Das hatte ich gar nicht verlangt. Gespannt warte ich auf die Einblendung des gelben Kreises. Wenn auf dem Feld der 9,15-Meter-Radius rund um den Ball markiert wird – natürlich rein virtuell, wie wir das Fernsehen neuerdings nennen – dann kann doch die Länge der Platzwunde eigentlich auch kein Problem sein. Das müssen sie einem doch zeigen können! Die zeigen einem doch sogar Dieter Kürten im Straßencafé.

Neues, aber weniger Spektakuläres kann man ebenfalls noch lernen. Dass auch Spieler von der Bank und auf der Bank die Rote Karte kassieren können. Dass man folglich nirgendwo mehr ungeahndet hetzen kann, über „den Schiedsrichter, die blinde Nuß“ (verbale Standardsituation). Dass Ersatzspieler offiziell ausgemeckert werden müssen, weil sie keine grünen Leibchen tragen. Ach Gott, wie rührend diese Wichtighuberei ist. Und wie langweilig.

Deutschland - Rumänien. Das wollen wir in Gesellschaft sehen, die Herren vor dem Fernseher, die Damen demonstrativ desinteressiert auf der Terrasse. Muss das denn immer noch so sein? Nein, unerschrocken entert die Kolumnistin das Fernsehzimmer. Schon hat sie das erste Tor verpasst. „Wie konnte denn das passieren?“, fragt sie die Expertenrunde, und nur der Gastgeber presst aus Höflichkeit ein „War ein Fehler“ hervor. Dann aber lassen die Herren sich nicht lange bitten: „Die können nichts, das habe ich doch gesagt“, stöhnt B. gebrochen, nur um nach dem 1:1 mit „Ich hab’s euch doch gesagt, die spielen gut“ zu verblüffen. Fünfzehn Minuten später schließt er mit „Neenee, da ist der Wurm drin“ ab. „Wer von euch ist am aufgeregtesten?“, versuche ich die verkrampft gelangweilte Runde ein wenig aufzulockern. Man schweigt betreten. Auf den Stirnen der Männer sehe ich – rein virtuell natürlich – den Schriftzug: „Frauen sind peinlich.“ Und allein ein mir nur allzu vertrauter knapp Zweijähriger erbarmt sich meiner und antwortet: „Mama, nicht stören.“ SUSANNE FISCHER