„Den Sack zumachen“

Gestern abend trafen sich Regierung und Stromkonzerne, um den Atomausstieg endgültig auszuhandeln. Letzte offene Frage: 30 oder 35 Jahre Laufzeit

BERLIN taz ■ Kurz vor Schluss diktierte Bayerns Ministerpräsident noch einen fast flehendlichen Brief an die vier Stromkonzerne RWE, Veba, Viag und EnBW, den er der WELT zum Nachdruck überließ. „Dringend“ warnte Edmund Stoiber die Konzerne davor, im Atomgespräch einem Ausstieg zuzustimmen, und malte das Szenario einer „Verstopfungsstrategie“ der Regierung aus. Doch eine Verstopfung der AKWs mit Atommüll wird es nicht geben, soweit haben sich Regierung und Konzerne schon vor Monaten verständigt.

Gestern ging es eigentlich nur noch um die Laufzeit – der Rest stand weitgehend fest. Und so gab sich die Regierung zuversichtlich, „den Sack zuzumachen“. Um 20.30 Uhr empfingen gestern – leider nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe – Kanzler Gerhard Schröder sowie die Minister Werner Müller und Jürgen Trittin die vier Vorstandschefs der Stromversorger zum finalen Ausstiegsgespräch.

Doch die Entscheidung hat es in sich. Von 30 Jahren Gesamtlaufzeit, wie es die Regierung und vor allem die Grünen wollten, oder aber 35 Jahren, hängt nicht nur die Glaubwürdigkeit der Berliner Politik ab, sondern auch die Koalition in Nordrhein-Westfalen. Das fürchteten gestern viele Grüne. Am deutlichsten sprach es die Bundessprecherin Antje Radcke aus: Wenn der Eindruck entstehe, die Grünen „schlucken schon wieder alles Mögliche“, könne das auch den grünen NRW-Landesparteitag am Wochenende beeinflussen, wo über die dortige Koalition abgestimmt wird. Tatsächlich plädiert so mancher NRW-Grüne deshalb für eine Fortsetzung der Zweckehe von Wolfgang Clement und Bärbel Höhn, um die Berliner Koalition nicht zu gefährden. Nur, wozu das noch, wenn die beim Atomausstieg nichts Gescheites zuwege brächte.

Die Laufzeit entscheidet auch, wie gut die Grünen im kommenden Wahlkampf dastehen. Bei 30 Jahren wären sechs Meiler in den nächsten sechs Jahre fällig. Durch die Möglichkeit, Laufzeit von einem auf den anderen Meiler zu übertragen, könnten sogar noch bis zu drei vor den Wahlen 2002 abgeschaltet werden. Schon bei 32 Jahren, blieben selbst bis 2006 nur Obrigheim und Stade übrig plus vielleicht Biblis-A, weil sich eine Nachrüstung nicht mehr rechnet. URB