■ UrDrüs wahre Kolumne: Babyface-Machiavelli Eckhoff
Mit feinem Sinn für zeitgeschichtliche Ironie lädt die Bremer Bullerei morgen zum „Tag der Offenen Tür“ mitsamt Besichtigung des glasbausteinbestückten neuen Abschiebeknasts – just am 17. Juni, wo man ehedem die Deutsche Einheit beschwor, die nunmehr ereicht ist und seit gut zehn Jahren wieder das Bewusstsein dafür verstärkt, was für Konsequenzen ein Volk ohne Raum gegenüber den Hungerleidern dieser Erde ziehen muss. Aus gegebenen Anlass bittet das Aktionsbündnis „Ökologie und Menschlichkeit mit Augenmaß“ darum, die Gefangenen weder zu necken noch mit verdorbenem Obst zu füttern. Einige Exoten aus Asien und Schwarzafrika werden außerdem für das EXPO-Wochenende in Hannover ausgeliehen, um die Internationalität der Veranstaltung optisch zu verstärken: Das sorgt im Knast selbst für mehr Bewegungsfreiheit und entzieht somit der gehässigen Propaganda der Flüchtlings-Unterstützer den argumentativen Boden.
Eine Disco im schönen Weserbergland kündigt für dieses Wochenende ein „Erotik-Festival für Formel I-Fans an und präsentiert bei dieser Gelegenheit diverse Boxenluder in ferrariroten Tangaslips sowie Cocktails „mit stimulierenden Pheromonen, die jede Klosterfrau zum Tier machen“. Am Ende kommen bei solchen Tierversuchen dann so original Dortmunder Autonarren raus, die sich nach Führerscheinverlust den Weg aus der Verkehrskontrolle freiballern – müssen sich Rezzo Schlauch und die Burschen und Mädel von der grünen Bleifuß-Fraktion schleunigst überlegen, wie man die Stimmen dieser Sympathisanten einsackt, bevor die selber in die Urne hüpfen ...
Um Pott und Pann kümmert sich bei der anderen Heimatzeitung der Kollege Heinz Holtgrefe mit geradezu missionarischem Appetit. Warum ihn sein Eintreten für herzhafte Schweinereien und sanft gedünstetes Edelgemüse aber dazu verleitet, in den Spalten des Weserkuriers als hemmungsloser Schreibtischtäter an der Demontage des leidlich volkstümlichen Wochenmarkts am Domshof mitzuwirken und für allerhand SchickiMicki-Pavillons zu Lasten der ehrbaren Marktbeschicker einzutreten, das kann wohl nur mit manipulativen Getränke-Orgien auf Kosten des Managements vom Alex-Container erklärt werden, der in seiner stumpfsinnigen Schniegelpracht ja schon von außen so unterkühlt wirkt wie das rundum desinfizierte Fastfood-Paradies einer wiedergeborenen Baptisten-Kleinstadt im Mittleren Westen der USA. Wir verdonnern den breiverderbenden Zeitungskoch dafür zu einer Woche Trash-Fraß aus der Heissen Hexe, unter strafverschärfender Begleitung durch lauwarmes Holsten-Pils aus der Aluminiumdose. Bei Widerspruch gibt's noch eine Runde Schlabbereis von Mc Donald's als Dessert-Zugabe! Ansonsten gibt's ja auch nach der eventuellen Usurpation des Domshofs durch den ekligen Zeitgeist gottlob noch die richtigen Grünhöker-Märkte in Walle und Findorff ...
Jetzt also doch! Wie vom Endesunterzeichneten vor Jahr und Tag mit realistischer Bosheit prophezeit, meldet sich das Singspiel Jekyll & Hyde jetzt auch ganz offiziell als Kostgänger der senatorischen Suppenküche im Cafe' Größenwahn an: Wir werden also vielleicht schon an diesem Wochenende erleben, dass fremdländische Zwangsarbeiter auf Bremen-Visite dienstverpflichtet werden, um die Ränge des neuen Hof- und Staatstheaters der hiesigen Wirtschaftsförderung zu füllen. Die Damen und Herren Gäste sollten allerdings aufpassen, dass Ihnen die Eintrittskarten nicht auf Entschädigungszahlungen angerechnet werden!
Oft mußte ich an dieser Stelle Klage führen über Bernt Schulte, der in der Besetzung des hiesigen Staatstheaters ja eigentlich einen ganz gediegenen Bürgersmann darstellen könnte, durch sein asoziales Umfeld aber immer wieder genötigt wird, die knallharte Dumpfbacke zu geben. Jetzt aber ist es höchste Zeit, ihn unter Naturschutz zu stellen, denn wenn so ein Babyface-Machiavelli wie der Rennbahnzocker Jens Eckhoff schon sein Wasser an dieser senatorischen Eiche abschlagen darf, dann müssen wir unsere sprichwörtliche Humanitätsduselei höher bewerten als die paar politischen Widersprüche: Aus Ehrfurcht vor schlohweißen Haaren, die auch dann zu gelten hat, wenn dieselben schon als Tribut an das Alter verloren gingen. Eckhoff – lassen Sie den Mann in Ruhe! Mahnen wir heute noch einmal in Güte, doch es kann notfall auch ganz anders
Ulrich „Zornnickel“
Reineking
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