Elchköttel in Portugal

„Mein Gott, Europa“ präsentiert täglich schräge Aufnahmen kontinentaler Jungfilmer. Heute (19.45 Uhr, arte) kommt der Tourismus auf seine Kosten

von MARTIN REICHERT

Eines der beliebtesten Schweden-Souvenirs ist die Halskette aus Elchkötteln. „Mein Gott, Europa!“, mag da mancher ächzen – arte verwendet den Ausruf als Titel für seine neue Dokumentationsreihe, die Anfang der Woche mit „Ab in die Ferien“, ein Einblick der anderen Art in die Welt des europäischen Tourismus, gestartet ist. Noch bis zum 7. Juli gibt es allabendlich um 19.45 Uhr 26 Minuten schön verwackelte und falsch beleuchtete Bilder.

Angefangen hat alles mit einem Wettbewerb für junge Filmemacher, den arte vor zwei Jahren zusammen mit der BBC und vier weiteren europäischen Sendern ausgeschrieben hatte. 50 von ihnen wurden mit Low-Budget, Digicam und der Zielsetzung, ihre Idee von Europa umzusetzen, ausgerüstet.

Das Gemeine: Am Ende hat sich der britische Regisseur Colin Luke allein über die insgesamt 2.000 Stunden Material hergemacht. Herausgekommen sind 20 Kurzfilme, und die hoffnungsvollen Nachwuchsfilmer durften nicht mal mit in den Schnittraum.

Vorbild war die BBC

Richtig neu ist das Konzept allerdings nicht, die auf derartiges Vorreitertum abonnierte BBC hat schon vor vier Jahren ähnliche Dokumentionen über Russland und Israel gemacht. Deren großer Erfolg rechtfertigte nun das aktuelle Projekt.

Und auch die arte-Kurzdokus können sich sehen lassen. Der erste Beitrag, „Ab in die Ferien“, ein herrliches Schnitteinander von acht verschiedenen Filmern, lockte in Deutschland 200.000 Zuschauer vor den Bildschirm – für arte ein ordentliches Ergebnis. Zu sehen gab’s die schwedischen Elche Carl Gustaf und Silvia, den „Älg-Shop“ (der mit den Elchköttelketten) und das gesammelte Elend des mediterranen Strandurlaubs.

Heute abend darf sich nun ein Teil des arte-Zielpublikums an die eigene Nase fassen, statt sie über die Ballermänner zu rümpfen: Über eine Million Deutsche besitzen ein (Ferien-)Haus im europäischen Ausland. „Fernweh“, ein Film von Terese Ericsson und Bruno Gonçalves, zeigt, wie in Portugal die Einheimischen gehen und die Deutschen kommen. Sie bauen Wasserklosetts mitten in die Pampa und trinken dazu auch noch Bock-bier, dazwischen wird die umtriebige deutsche Maklerin Angela gezeigt: Sie kauft für kleine Beträge alte Bauernhöfe auf – und verkauft sie äußerst gewinnbringend an ihre Landsleute weiter.

Die greise Bäuerin Delfina musste ihren Hof verkaufen, um sich ein ihrem Alter entsprechendes neues Domizil leisten zu können. Noch wohnt sie im Haus, während die bayerischen Käufer bereits die Solaranlage in den Vorgarten rammen: „Diese Deutschen, sie arbeiten den ganzen Tag“, wundert sie sich. Sie weiß, dass der Hof ihr gehört, aber nicht mehr ihr Besitz ist. Sie muss gehen.

Rote Schwedenhäuschen

Als Psychogramm des deutschen Fernwehs funktioniert der Film durch Gegenschneiden des Beispiels Schweden. Der Makler Erland Carsson hat im südschwedischen Emmaboda seit 1980 über 500 Eigenheime an Deutsche verkauft, bevorzugt in Rot, mit weißen Fenstern und Türen.

Die neuen Besitzer sind nicht nur wegen ihres Ordnungswahns, sondern auch wegen ihrer schwedische Kulturverbundenheit sehr beliebt, sie „passen sich an“. Nur gut, dass der im Film präsentierte schwedophile Käufer noch nicht weiß, dass seine künftigen Nachbarn auch alle aus Deutschland stammen.