Repression als Testballon

Medienzar Wladimir Gusinski, der von der Moskauer Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Veruntreuung am Dienstagabend festgenommen worden war, hat nach Aussagen des russischen Justizministeriums keinen Grund zur Klage.

Stehen einem Gefängnisinsassen in Russland im Schnitt zwei Quadratmeter zur Verfügung, muss sich Gusinski die Zelle nur mit zwei Gefangenen teilen. „Würdige Leute“, meinte ein Justizangestellter, „ein Geldfälscher und ein Wirtschaftsdelinquent – also eine durchaus intellektuelle Gesellschaft“.

Bisher hat die Staatsanwaltschaft noch keine Anklage gegen den Gründer der Medien-Gruppe Media-Most erhoben. Gusinskis Anwälte berichteten im hauseigenen Fernsehsender NTW: Allem Anschein nach können sich die Kläger nicht einigen, worauf die Anklage hinauslaufen soll. Gusinski scheint demnach eine lange Untersuchungshaft zu drohen. Und je länger der Inhaftierte in Untersuchungshaft zubringt, desto günstiger ist es für die Drahtzieher des Skandals, die im Kreml vermutet werden. Nach und nach werden die kritischen Stimmen der Media-Most versiegen, um den Chef keinen zusätzlichen Gefahren auszusetzen. Im Ausland wird die Angelegenheit ohnehin in ein paar Tagen vergessen sein.

Noch schlägt der Skandal in Moskau hohe Wellen. In einem offenen Brief protestierten siebzehn der einflussreichsten russischen Geschäftsleute gegen das Vorgehen der Behörden: „Bis gestern glaubten wir, in einem demokratischen Land zu leben“, heißt es dort, „heute haben wir ernsthafte Bedenken.“ Zu den Unterzeichnern gehören der ehemalige Vorzeigereformer und Privatisierungschef Anatoli Tschubais und der Vorsitzende des Gasgiganten „Gasprom“, Rem Wyachirew. Der einflussreiche Oligarch Boris Beresowski, der seit Jahren über engste Kontakte zum Kreml verfügt, hat den Appell freilich nicht unterzeichnet. Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow mutmaßte in aller Öffentlichkeit, hinter der Attacke stünde der Beresowski-Vertraute und Kreml-Kanzleichef Alexander Woloschin. Es sei ein Testballon, um festzustellen, „wie die Gesellschaft auf Repression reagiert“. KLAUS-HELGE DONATH